Die Beerenweinschänke

Die „Beerenweinschänke“ am Ende der Ulrichstraße im Loschwitzer Orts­teil Schöne Aussicht, um 1910.  Historische Ansichtskarte (Archiv Christian Mögel)

Die „Beerenweinschänke“ am Ende der Ulrichstraße im Loschwitzer Orts­teil Schöne Aussicht, um 1910.
Historische Ansichtskarte (Archiv Christian Mögel)

Die Kulturlandschaft des Dresdner Elbhanges wurde ganz wesentlich durch den Weinbau geformt. Aber auch Streuobstwiesen und Obstplantagen prägen seit Jahrhunderten diese Landschaft und die Kunst der Beeren- und Obstkelterei fand hier viele Freunde.

So ist überliefert, dass 1883 Heinrich Otto Weiser vom Carolaweg einen vortrefflichen Rotwein aus Heidelbeeren herstellte. In Niederpoyritz gab es die Kelterei in der Schlossvilla, zuletzt betrieben von Moritz Schiller. Die Gerätschaften übernahm in den fünfziger Jahren Karl Gießgen und gründete die noch heute bestehende Schlosskelterei an der Pillnitzer Landstraße.

Beliebt bei Kennern war bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auch die Gaststätte „Beerenweinschänke” mit eigener Kelterei im Loschwitzer Ortsteil „Schöne Aussicht”, die heute kaum noch jemandem bekannt ist.

„Gruss aus der Beerenweinschänke Loschwitz“

„Gruss aus der Beerenweinschänke Loschwitz“

Adolf Leberecht Looß ließ in seinem recht ansehnlichen Grundstück an der Einmündung der Schweizer Straße (Ulrichstraße) in den Rochwitzer Weg (später König-Friedrich-August-Straße, heute Krügerstraße) 1860 ein Haus bauen und begann vor allem, Beeren zu keltern. Später baute er ein Gär- und Keltereihaus und einen geräumigen Weinkeller, wo Fässer mit über 1000 Liter Fassungsvermögen gelegen haben sollen.

Seine Kunden konnten ab 1885 in einem Gastraum im Haus und in seiner Veranda Weine und Säfte probieren. 1895 kaufte der Gärtner Rudolf Franz Kotzsch, Sohn des Photographen August Kotzsch, das Anwesen für 30.000 Mark. Das Andenken und den Namen seines Vorgängers wahrend, nannte sich der Betrieb „A. Looß Nachf. Franz Kotzsch, Beerenweinkelterei”. Mit dem Kauf beantragte er bei der Gemeinde Loschwitz den Bau einer neuen „Marquise”. Errichtet wurde die Veranda, die viele Jahrzehnte das Haus prägte, von der Firma Ernst Weigelt, Sägewerk und Bauausführung Loschwitz. Franz Kotzsch betrieb die Kelterei, die Schankwirtschaft vermietete er vermutlich erst Franz Winter und später Carl Ernst Morgenstern.

Bereits ein Jahr nach dem Kauf stellte er einen Bauantrag für ein Gartenhaus über dem Weinkeller. Das gesellige Leben führte im ruhigen, sehr dörflich geprägten Ort aber auch zu Anstoß. Wachtmeister Junghans schrieb 1900 an den Gemeindevorstand Loschwitz: „Der Besitzer der im Ortsteil Schöne Aussicht gelegenen Beerenweinschänke hat im Jahr 1896 längs seines Grundstückes eine Veranda aus Holz mit Verglasung errichtet, auf dessen Oberbau Tische und Stühle stehen und Gästen als Aufenthalt dient. In dieser Veranda befindet sich ein eiserner Ofen, dessen Rauchabführung nach einer Esse zum anstehenden Hausgrundstück geleitet wird.

In Anbetracht, dass die fragliche Veranda insbesondere im Sommer von vielen Personen benutzt wird und dadurch die Tragfähigkeit überschritten werden dürfte, sowie auf dass über dies Erteilung der Schankkoncession für dieselbe hier nicht bekannt ist, wird hiervon Anzeige erstattet.“

Infolge musste Familie Kotzsch auf Anordnung der Amtshauptmannschaft, die das Grundstück besichtigt hatte, die Aborte und die Treppe zu den oberen Gasträumen umbauen lassen. 1901 starb Franz Kotzsch und die Witwe, Hermine Antonie Kotzsch, erbte das Haus mit Hypotheken. Gleichzeitig sollte sie an die Gemeindekasse Abgaben, eine Art Erbschaftssteuer, entrichten. Sie konnte das Grundstück nicht halten und verkaufte es im Dezember 1903 an den Betreiber der Gastwirtschaft Carl Ernst Morgenstern, der fortan die Beerenweinschänke und die Kelterei führte. Nach dem Tod des „Obstwein-Keltereibesitzers” 1910 übernahm sein Sohn Ernst Johannes Morgenstern das Grundstück und betrieb es gemeinsam mit seiner Mutter.

Als er 1914, im Ersten Weltkrieg fiel, war das Grundstück bereits Eigentum von Karl Heinrich Ernst Förster, einem Schwager, der es bei einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Kelterei und Gaststätte wurden in den nächsten Jahren wohl von Else Morgenstern bewirtschaftet. 1920 ließ der Kaufmann Ernst Förster das ehemalige Looßsche Grundstück zergliedern. Die Grundstücke der Beerenweinschänke und des Wohnhauses über dem Weinkeller kaufte der Wirt des „Deutschen Kaisers” in Dreden-Johannstadt, Adolf Richard Otremba.

Franz Kotzsch, Sohn des Photographen August Kotzsch, war von 1895 bis 1901 Besitzer des Anwesens. Historische Ansichtskarte (Archiv Matthias Griebel)

Franz Kotzsch, Sohn des Photographen August Kotzsch, war von 1895 bis 1901 Besitzer des Anwesens.
Historische Ansichtskarte (Archiv Matthias Griebel)

Erinnerungen an die Großeltern

Ilse Bauer lebt heute im Wohnhaus der Großeltern Martha und Richard Otremba unweit der ehemaligen Schänke. Sie hat die Bilder ihrer Kindheit noch vor Augen, als die Großmutter und bis zu ihrem frühen Tod auch ihre Mutter, in der Küche standen, Kuchen buken und Essen kochten. Der Großvater kümmerte sich in der Gaststätte um die Gäste und die Getränke. Nur Saft und Wein aus der eigenen Kelterei wurden hier angeboten. Spezialisiert hatte sich die auch vom Großvater betriebene Kelterei auf Beeren. Betrat man die „Beerenweinschänke”, so gelangte man über einen Vorraum geradewegs in die Gaststube. Links von der Tür befand sich der Tresen. Der Gastraum war einfach und rustikal eingerichtet. Vom Vorraum ging eine Treppe in den oberen Saal und ein Gästezimmer. Ganz oben, unter dem Dach, war das „Heiligtum” des Großvaters. Hier hatte er sein Büro und machte seine Abrechnungen, da durfte auch die Enkeltochter nicht stören. Und im Sommer, wenn die Veranda voller Gäste war, gab es weite Wege für die Bedienung.

Mit dem Tod der Großmutter 1942 und den immer geringeren Lebensmittel-Zuteilungen wurde das Speiseangebot eingestellt. Der Einschlag einer Bombe mitten auf der Ulrichstraße im Februar 1945 ließ in vielen Häusern, so auch in der „Beerenweinschänke”, die Fenster bersten. Dennoch konnte der Betrieb weitergehen, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Vor allem Zuckerrüben mussten in den nächsten Jahren gehäckselt und gepresst werden, um Sirup zu gewinnen. Die Abfälle wurden zu Puffern gebraten und halfen der Familie, zu überleben. Die russischen Militärs, einquartiert in Weidners Sanatorium, bevorzugten Bier, und eine Schank-Konzession bekam Richard Otremba von den Russen ohne Probleme.

Die Tage der „Beerenweinschänke”, die zwei Weltkriege und die Inflationszeit überstanden hatte, waren aber gezählt. Die Kelterei wurde nach der Zuckerrüben-Zeit eingestellt. 1949 geriet ein Hänger eines russischen Lastkraftwagens von der Fahrbahn ab und zerstörte einen Großteil der Veranda. Die Gaststätte wurde geschlossen und der Holzbau musste vollständig abgerissen werden. Mit der Begründung, die Ulrichstraße besser in die Krügerstraße einbinden zu müssen, wozu man das Grundstück brauche, wurde Richard Otremba 1954 enteignet. Der alte Mann bekam gemeinsam mit seiner ehemaligen Wirtschafterin ein Zimmer auf dem Azengruberweg zugewiesen und starb 1964.

Das Gastwirtschaftsgebäude wurde als „baufällig” eingestuft und 1956 abgerissen. Das ehemalige Gärhaus diente später als Sattlerei, Lagerraum und „Sero”-Annahmestelle, bevor man auch dieses abtrug. Die geplante bessere Einbindung der Ulrichstraße in die Krügerstraße wurde nie verwirklicht, auch weil das Krankenhaus, das ehemalige Möllersche Sanatorium, interveniert hatte. Die Grundstücke konnten später wieder bebaut werden, wobei durch Grundstücksverschiebungen heute nur noch ein Fußweg zur Ulrichstraße führt. Vom Grundstück der „Beerenweinschänke” ist allerdings das ehemalige Gartenhaus, Ulrichstraße 39, erhalten geblieben.

Quellen

  • Stadtarchiv Dresden
  • Otto Kotzsch: „Gaststätten in Loschwitz einst und jetzt, 1956” (Manuskript Archiv Mögel)
  • Erinnerungen von Ilse Bauer, geb. Otremba
  • Archiv Matthias Griebel
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Veröffentlicht unter Artikel aus der Print-Ausgabe, Der Elbhang-Kurier