Marie Wieck in Hosterwitz

Zum 175. Geburtstag der Künstlerin am 17. Januar

Der Klavierpädagoge Friedrich Wieck (1785 – 1873) lebte im Sommer in dem Weinbergdörfchen Loschwitz. Im Garten von „Demnitz” genoss er seinen Kaffee und plauderte mit vielen Bekannten, Freunden und Schülern, die ihn jeden Tag besuchten. Zu seinem 88. Geburtstag konnte er noch die Einweihung der „Wieck-Bank” in der Nähe seines Wohnhauses in Loschwitz unter den Linden erleben. Oft kam Marie Wieck (1832 – 1916) zu ihrem Vater und weilte bei den Sommeraufenthalten in Loschwitz. In dieser Zeit unternahm sie Fahrten mit dem Dampfer, wo sie nach Niederpoyritz den Elbhang zurücktreten sah, Landhäuser und Villen am Hang erblickte. Hier kam wohl der Wunsch auf, in dieser Gegend im Sommer zu leben.

Wieck-Haus in Wentow im Jahr 1913 mit Marie Wontzinski. Foto: Sammlung M. Wursche

Wieck-Haus in Wentow im Jahr 1913 mit Marie Wontzinski.
Foto: Sammlung M. Wursche

Ein schwedisches Holzhaus wird aufgebaut

Marie Wieck hatte in den Jahren mehrere Konzerte in Stockholm gegeben, in Schweden zeitweilig bei einer Reihe von Bekannten und Freunden gelebt und die dort üblichen Sommerhäuser kennen gelernt. Im Jahre 1893 erwarb sie eine kleine Holzvilla in Schweden und ließ sie sich mit der Eisenbahn zuschicken. In Hosterwitz, auf dem halben Hang zwischen der Angermannschen Villa, später Haus Hoheneichen, Dresdner Straße 71, und dem Keppschloß, Dresdner Straße 97/99, bauten schwedische Arbeiter das Holzhaus auf einem Ziegelfundament in drei Monaten auf.

Das Holzhaus hatte eine rechteckige Form mit einem vorgesetzten Teil. Von der westlichen Seite führte mit überdachter Treppe der Eingang in den vorgesetzten Teil, der eine nach Süden führende Veranda besaß. An der östlichen Seite schloss sich eine einfache Treppe an. Die Stirnseiten des Hauses waren bemalt und ein jeweils rundes Relief zierte beide Giebel. Durch die Fertigstellung der Malereien von schwedischen Landschaften und Blumensträußen im Inneren dauerte es noch einige Zeit, bis das Holzhäuschen empfangsbereit war. Zugang zum Grundstück bot ein schmaler Weg von der Dresdner Straße. Marie Wieck freute sich: „Der Blick von der Veranda der Villa schweift über das Elbtal und die Wälder und Dörfer ringsum, bis zu den Bergen der Sächsischen Schweiz.”

Sie eröffnete das neue Sommerheim mit einem Konzert zum Bes-ten der Friedrich-Wieck-Stiftung. Auf einem Flügel aus der Fabrik des Wilhelm Wieck spielte sie Werke von Bach und Beethoven. Die Wieck-Stiftung gründete Wieck anlässlich seines 86. Geburtstages, um unbemittelten musikalischen Talenten Mittel für die Ausbildung zu gewähren. Vor der Übergabe der Stiftung an das Ministerium für Kultus im April 1898 schenkte Marie Wieck die aufgrund schlechter Verwaltung fehlende Summe von 2.000 Mark. In der Folgezeit unterstützte die Stiftung kranke und bedürftige Klavier- und Gesangslehrer. Marie Wieck widmete sich von 1900 bis 1910 sehr intensiv dieser Stiftung durch das Stellen und Prüfen von Anträgen. Die Unterstützung, beispielsweise für die Klavierlehrerin Anna verwitwete Dr. Meister im Jahre 1907, zeigt die Notiz auf ihrer Visitenkarte.

Visitenkarte der Marie Wieck. Abbildung: Sammlung Dr. S. Pietzsch

Visitenkarte der Marie Wieck.
Abbildung: Sammlung Dr. S. Pietzsch

Das Sommerhaus in Hosterwitz

Das Sommerhaus erwies sich mit dem schwedischen Holz bei Sonnenschein, Sturm und Regen viel fester und dauerhafter als mit hiesigem Holz. Sie ließ dieses Haus durch keinen Hausmann, keinen Hund oder Gartenzaun sichern, es war diebessicher. Die Hosterwitzer Sommerwohnung nutzte Marie Wieck sehr oft. Aber Konzerte und Reisen verhinderten viele Jahre, längere Zeit dort zu leben. Manchmal überließ sie deshalb ihr Sommerhaus befreundeten Familien, wie beispielsweise dem Kammervirtuosen Prof. Hermann Scholtz mit Familie, damit diese einige Monate im Sommer dort wohnen konnten.

Um 1905 wohnte Marie Wieck selbst drei Jahre in dem Haus, um das spätere Buch „Aus dem Kreise Wieck-Schumann”, das 1914 in Dresden erschien, zu verfassen. Sie schwärmte: „Schöne Aussicht von Balkon und Veranda, herrliche der Gesundheit zuträgliche Luft und Waldesnähe ließen mir den Aufenthalt sehr poetisch erscheinen. Meine Zeit war der Natur, der Musik und der Arbeit geweiht.”

Während dieser Zeit empfing Marie sehr oft Besuche von Bekannten und Künstlern, die sogar der Winter mit seinen Stürmen nicht davon abhielt. So besuchte sie häufig Fräulein Sophie aus dem Winkel, die ihrerseits oft bei dem Leipziger Rechtsgelehrten Prof. Dr. Emil Kuntze im „Marienhof”, jetzige Laubegaster Straße 5, den Sommer verbrachte. Professor Kuntze war mit Marie Elisabeth geborene Weber, einer Tochter des Hosterwitzer Pfarrers Dr. Eduard Weber, verheiratet. Es gab mannigfaltige Verwandtschaft zwischen den Familien Schumann, Kuntze und Weber.

„Friedrich Wiecks Wohn- und Sterbehaus, † 6. Oktober 1873.“  Foto: August Kotzsch

„Friedrich Wiecks Wohn- und Sterbehaus, † 6. Oktober 1873.“
Foto: August Kotzsch

Das Holzhaus kommt nach Wentow

Im Jahre 1909 verkaufte Marie Wieck die Holzvilla an Marie Wontzinski, die ihre Verwandten Lindau/Beneckendorff in der Dresdner Straße 87 besuchte und außergewöhnlichen Gefallen an dem Haus fand. Nach dem Erwerb des Hauses ließ sie es von zwei Zimmerleuten in Hosterwitz zerlegen, nach Wentow, Kreis Ruppin im Brandenburgischen an den sechs Kilometer langen Wentowsee transportieren und dort in der gleichen Art wieder aufbauen. Bei dem Abtransport wurden die Zaunsäulen bei Haukes, die am Weg zur Dresdner Straße wohnten, zur Seite gedrückt. Marie Wieck träumte später ihrer Holzvilla nach: „Hätte ich sie doch lieber behalten!”

Das Land für das Holzhaus, das Flurstück 68a, hatte Marie Wieck 1897 von Marie Auguste verwitwete Findeisen geborene Köckritz für 6000,- M gekauft und verkaufte es 1909 für 2000,- M an Gottfried Albert Amm.
Noch im Alter von 78 Jahren, im Jahre 1910, schrieb die „Vossische Zeitung” über Marie Wieck: „Man rühmte die Schlichtheit ihres Vortrages, ihre erstaunliche Technik, ihre Jugendfrische. Die angehende Achtzigerin ist die einzige noch Lebende der bewegten Wieck-Schumann-Epoche… Fräulein Wieck hat blonde Zöpfe, lebhafte kluge Augen, rosig-volle Wangen, ist von so sprudelnder Lebendigkeit.”

Leider konnten keine Bilder oder Fotografien von dem Haus der Marie Wieck in Hosterwitz gefunden werden, jedoch ein Foto von dem gleich wiederaufgebauten Wieck-Haus in Wentow vom Jahre 1913 mit Frau Wontzinski, an der Treppe das Abschiedstuch haltend. Der Autor konnte dieses nun über hundertjährige Holzhaus, etwas umgebaut und isoliert im Juni 2001 in Wentow in Augenschein nehmen.

Dr. Sieghart Pietzsch

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