Vor 75 Jahren in Sibyllenort: Als der letzte sächsische König starb

Vielleicht gibt es unter unseren betagten Lesern noch solche, die vor 75 Jahren am 22. Februar 1932 am Straßenrand die „letzte Fahrt” des vormaligen Königs Friedrich August III. (1865 – 1932) vom Hauptbahnhof bis zur damaligen Hofkirche begleitet haben.

Friedrich August als Pensionär.  „Äußerlich ist der König ein von Kraft und Gesundheit strotzender Mann mit angenehmem, offenem Gesichtsausdruck…  Seine Statur ist mittelgroß, sein Gliederbau von seltenstem Ebenmaß. Eine gewisse Derbheit ist in seinem ganzen Wesen ausgeprägt, vom eleganten Kavalier hat er nichts an sich.” (Prälat Klein) Foto und Zitat aus: Walter Fellmann, Sachsens letzter König Friedrich August III., Koehler & Amelang, 1992); Illustrierte Zeitung Leipzig, 1932 / Sammlung Bernd Beyer

Friedrich August als Pensionär.
„Äußerlich ist der König ein von Kraft und Gesundheit strotzender Mann mit angenehmem, offenem Gesichtsausdruck… Seine Statur ist mittelgroß, sein Gliederbau von seltenstem Ebenmaß. Eine gewisse Derbheit ist in seinem ganzen Wesen ausgeprägt, vom eleganten Kavalier hat er nichts an sich.” (Prälat Klein)
Foto und Zitat aus: Walter Fellmann, Sachsens letzter König Friedrich August III., Koehler & Amelang, 1992); Illustrierte Zeitung Leipzig, 1932 / Sammlung Bernd Beyer

Der letzte sächsische König, der von 1904 bis 1918 das Land „regierte” und nach seiner Abdankung weitere 14 Jahre auf seinem schlesischen Landsitz Schloss Sybillenort (Szczodre) nördlich von Breslau lebte, war dort am 18. Februar 1932 gestorben. Sein Leben ist ausführlich dokumentiert (1) und auch in ungezählten Anekdoten festgehalten worden. Dem Elbhang war er jahrzehntelang als Mitbewohner des „Königlichen Weinberges Wachwitz” verbunden, seit 1894 in der neuerbauten „Königlichen Villa” als Kronprinz mit seiner Familie residierend. Nicht nur der kürzlich verstorbene Hofgärtnersenkel Georg Blume (1910 – 2006, s. Elbhang-Kurier 11/2006) erinnerte sich des einstigen königlichen Mitbürgers; auch dessen lebensfrohe Gemahlin und Mutter von sechs königlichen Nachkommen, Kronprinzessin Luise von Toscana (1870 – 1947), ist in allgemeiner Erinnerung, obschon sie ihren prinzlichen Gemahl bereits 1902 verlassen hatte. Wir begegnen ihr ohne Gram, vielleicht sogar mit verständnisvoller Nachsicht, gern im Blasewitzer „Café Toscana” oder im „Luisenhof” auf dem Weißen Hirsch – beide Etablissements dürfen sich mit ihren Namen auf sie berufen.

Empfang von König Friedrich August III. durch Wachwitzer Einwohner am Königlichen Grundstück, Mai 1905. Foto: Franz Gaudernack, Archiv; G. Butze (Elbhang-Photo-Galerie)

Empfang von König Friedrich August III. durch Wachwitzer Einwohner am Königlichen Grundstück, Mai 1905.
Foto: Franz Gaudernack, Archiv; G. Butze (Elbhang-Photo-Galerie)

Einer königlich-symbolischen Namensgebung begegnen wir auch in der Dresdner Neustadt. Dort lädt die Gaststätte an der Ecke Königsbrücker Straße/Jordanstraße seit Jahrzehnten (auch zu DDR-Zeiten) noch immer mit dem stolzen zinnengeschmückten Schild „Restaurant Sibyllenort” ein. Fürwahr, hier könnten sich gelegentlich die Freunde des Hauses Wettin oder auch die traditionsbewussten Nachkommen von Augusts Untertanen treffen, zumal auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein edelsaniertes „Palais Friedrich August” gemietet werden kann. Aber die Traditionspflege ist von der Globalisierung überholt worden. Die derzeitigen gastronomisch geschulten, freundlichen Restaurantbetreiber aus Vietnam präsentieren ihr Restaurant Sibyllenort als „Tickende Pfanne – Europäisches und Asiatisches Schnellrestaurant”, in dem „das Essen im Minutentakt frisch aus dem Wok auf den Teller kommt”.

Vielleicht hätte das unser letzter König, der als Ruheständler zwar nach Indien und Ceylon, aber nicht bis Vietnam reiste, so kommentiert: „Macht euern Tick alleene, ich esse lieber bei Mathilden” [Augusts Schwester Mathilde (1863 – 1933) war nicht mit nach Sibyllenort gezogen und wohnte am liebsten in Hosterwitz]. Aber ein Bier würde er sich in der „Tickenden Pfanne” gewiss gönnen, denn die Radeberger-Bierdeckel mit dem sächsischen Wappen – das einzige Wettinische Relikt in diesem Hause – tragen den stolzen Aufdruck EHEMALS KÖNIGLICH SÄCHSISCHER HOFLIEFERANT/TAFELGETRÄNK S. M. KÖNIG FRIEDRICH AUGUST III. VON SACHSEN .

Sibyllenort war früher eines der schönsten und größten deutschen Schlösser. Foto: aus Walter Fellmann, Sachsens letzter König Friedrich August III., Koehler & Amelang, 1992); Sammlung Horst Milde

Sibyllenort war früher eines der schönsten und größten deutschen Schlösser.
Foto: aus Walter Fellmann, Sachsens letzter König Friedrich August III., Koehler & Amelang, 1992); Sammlung Horst Milde

Bei so viel „Traditionspflege” kann man fast vergessen, dass vom einstigen riesigen Schloss Sibyllenort, dem „Schlesischen Windsor” – es war größer als das Dresdner Residenzschloss – nach dem Zweiten Weltkrieg nur ein bescheidenes, als Internat genutztes Rudiment übriggeblieben ist. Wohin wollen wir also pilgern an Friedrich Augusts Sterbetag? Wer nicht an seinem Sarg in der Kathedrale oder gar um die unlängst aus seinem Besitz versteigerten Porzellan-Löwen trauern will, mag in den Großen Garten spazieren. Dort warten wir dann am Ufer des Carola-Sees auf klirrenden Frost, damit der König endlich wieder wie in alten Zeiten mit seinen Kindern Eislaufen kann – natürlich ohne Bodygard (der sitzt derweil wahrscheinlich in der „Tickenden Pfanne”)

Anmerkung

  1. Walter Fellmann, Sachsens letzter König Friedrich August III., Koehler & Amelang, 1992)
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