Die Loschwitzer Bäckerei Tanner

Wenn die Weihnachtszeit naht, herrscht in den Dresdner Bäckereien Hochbetrieb. Das ist heute nicht anders als vor einhundert Jahren. Nur die „Hausbäckerei“, das private Stollenbacken in einer Bäckerei, wird immer seltener. Eine erste Adresse für gute Stollen und eine „Hausbäckerei“ für Loschwitz war die Bäckerei Tanner auf der Grundstraße (siehe auch Titelbild).

Herrmann Tanners Bäckerei, um 1908. Auf dem Dachgarten stehen Antonia und Herrmann Tanner (1854 – 1935) sowie ein Ladenmädchen und vor dem Geschäft sind die Töchter Johanna und Meta Tanner zu sehen. Foto: Archiv Olaf Bernstengel

Herrmann Tanners Bäckerei, um 1908. Auf dem Dachgarten stehen Antonia und Herrmann Tanner (1854 – 1935) sowie ein Ladenmädchen und vor dem Geschäft sind die Töchter Johanna und Meta Tanner zu sehen.
Foto: Archiv Olaf Bernstengel

Das Rezept für Stollen hat Helga Wachs auch mit 83 Jahren sofort parat, half sie doch schon als junges Mädchen in der Bäckerei ihres Vaters: 1 Metze (8 Pfund Mehl), 750 Gramm Zucker, 3 1/2 Pfund Fettigkeit, 200 Gramm Marzipan, 500 Gramm süße und 125 Gramm bittere Mandeln, 1/2 Teelöffel Macisblüthe, 1 1/4 Liter Milch, 5 Pfund Rosinen, 200 Gramm Zitronat und 200 Gramm Orangat. Kamen die Loschwitzer Frauen zu Tanners, um Stollen zu backen, hatte jede natürlich ihr eigenes Rezept und die eigenen Zutaten. Jeder Stollen bekam ein Holzstäbchen mit dem Namen und wurde in den Holz- und Kohle-gefeuerten „Altdeutschen Backofen“ geschoben. Ab und zu stachelte Bäckermeister William Tanner (1890 bis 1955) die Frauen an und sie begannen zu singen. Er hatte nicht den Wagen voll geladen, sondern seine Backstube und die Gesänge hörte man auch auf der Grundstraße. Bis einen Tag vor Heiligabend wurde gebacken und erst dann konnte Familie Tanner Weihnachtsgeschenke kaufen, was jedes Jahr ein großes Ereignis war. Man fuhr in die Stadt, was selten vorkam, und besuchte das Geschäft von „Hartwig & Vogel“, um sich Schokolade auszusuchen und zum Juwelier „Weihersberg“, um sich Silberbesteck zu leisten. Für die Kinder ging man anschließend zum Puppenspiel am Georgplatz und zum Abendessen ins „Stadtwaldschlösschen“. Endlich war auch für die Bäckerfamilie Weihnachtszeit.

Rechnung

Rechnung

Bäckermeister Gottfried Hermann Tanner (1854 bis 1935), der Vater William Tanners, Großvater von Helga Wachs und Urgroßvater des Rochwitzer Bäckermeisters Werner Ringel, hatte das Haus Grundstraße 22 1886 für 26000 Mark gekauft. Erwähnt wurde das alte Loschwitzer Anwesen bereits 1627. Mit August Heinrich Reichelt bewohnte ab 1855 erstmals nachweislich ein Bäckergeselle das Haus. Mit der Übernahme durch Gottfried Hermann Tanner und seiner Frau Anna geborene Enderlein begann das Geschäft zu florieren und die Bäckerei machte sich einen Namen mit Bötchen und Brot, aber auch mit Kuchen und Nudeln. Von den drei Kindern Hanni, Meta und William wurde der einzige Sohn wieder Bäcker. Als Hermann Tanner ins Alter kam, wurde die Bäckerei für einige Jahre verpachtet, was ihr nicht gut tat, bevor William sie mit seiner Frau Luise 1934 mit ganzen sechs Kunden übernahm. Doch mit guten Brötchen, feinem Kuchen, wunderbaren englischen Keksen und dem Kartoffelkuchen mit Zimt und Zucker konnte man die Loschwitzer schnell für sich gewinnen. Eine große Stammkundschaft bildete sich, die auch von weit her die Brötchen holte oder sie gebracht bekam. Bürgermeister Dr. Nieland, die Sängerin Maria Cebutari und der Opernsänger Mathieu Ahlersmeyer, Buchhändler Schweizer und Prof. Trefftz, der zur Kur in Weidners Sanatorium weilende Feldmarschall von Brauchitsch und viele andere kamen regelmäßig.

Bäckermeister William Tanner mit den Enkeln Bärbel und Werner. Foto: Archiv Werner Ringel

Bäckermeister William Tanner mit den Enkeln Bärbel und Werner.
Foto: Archiv Werner Ringel

Die Loschwitzer Waschfrauen trafen sich mit ihren Leiterwagen immer mittwochs und kauften ein, bevor der Kolo­nial­warenhändler Forker von der Krügerstraße mit dem Esel kam, sie abzuholen. Tanners belieferten das Restaurant „Burgberg“, das Bestellungen und Wünsche auch sonn­tags hatte. Auch die „entmachtete“ königliche Familie, die ihren Sitz in Wachwitz eingenommen hatte, fand Geschmack. Für 400 Mark lieferten Tanners monatlich ins neue Schloss im Wachwitzer Weinberg. Die Töchter Elfriede, Christa und Helga machten die Botengänge und lernten so die Prinzessinnen, aber auch den Kronprinzen Christian kennen (siehe Elbhang-Kurier 6/1994). Sie mussten auch die Frühstückstour erledigen und den Loschwitzern zeitig in der Früh ihre Brötchen an die Türen hängen. William Tanner manövrierte die Bäckerei durch den Nationalsozialismus, ohne sich den Nazis anzubiedern und hatte Glück, nicht in den Krieg ziehen zu müssen.

Kaffee & Kuchen-Zelt der Bäckerei Tanner, um 1918. Foto: Archiv Olaf Bernstengel

Kaffee & Kuchen-Zelt der Bäckerei Tanner, um 1918.
Foto: Archiv Olaf Bernstengel

1947 gab William Tanner die Bäckerei aus gesundheitlichen Gründen auf. Da Frauen damals noch keine Bäcker werden durften und der Enkel Werner noch zu klein war, fand er keinen Nachfolger. Er verpachtete sie an Bäckermeister Pietsch, bis 1957 Nitschkes sie übernahmen. Das letzte Kapitel schrieb von 1962 bis 1968 die Bäckerfamilie Heuschkel, zu denen die Loschwitzer noch immer gern gingen. 1971 wurde die Ladentür endgültig verschlossen und 1984 entstand in den ehemaligen Verkaufsräumen eine Garage. Die Backstube bestand hinter einer Verkleidung noch viele Jahre als Grafikatelier und der Backofen wurde erst 1998 abgerissen.

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