Nachgelesen bei Marcolini, Angelika Kauffmann, Gerhard von Kügelgen, Michelangelo, Simone de Beauvoir, Mozart, Victor Klemperer und Theodor Körner
Als MDR FIGARO in seinem Morgenmagazin am 15. Januar an die Erfindung des weißen Böttger-Porzellans genau vor 300 Jahren (1708) erinnerte, begann zur gleichen Stunde am Elbhang-Ausläufer Angelikastraße/Bautzner Straße die Fällung einer lebenstüchtigen 200-jährigen Buche, die eigentlich Bestandteil eines Marcolinischen Landschaftsparkes zwischen Elbauen und Dresdner Heide hätte sein sollen. Dass bei dieser Gelegenheit symbolisch auch politisches Porzellan zerschlagen wurde, ist nur eine von vielen Assoziationen, die dem Bürger einer Weltkulturstadt einfallen. Da ist zum anderen die berühmte Malerin und Goetheverehrerin Angelika Kauffmann (1741-1807), in der Sempergalerie als Selbstporträt anwesend, die der Straße ihren Namen gegeben und damit Würde verliehen hat. Nur 400 Meter stadtwärts würdigten die Dresdner vor Jahrzehnten ihren früheren Mitbürger Gerhard von Kügelgen mit einer Gedenktafel an der Stelle der Bautzner Straße, wo er 1820 umgebracht wurde. Diese Tafel ragte ebenfalls am 15. Januar einsam zwischen frisch gefällten, umgebrachten Kastanien auf. Als am selben Vormittag eine spontane Bürgerdelegation im Rathaus dem amtierenden Oberbürgermeister die „Not der Stadt” schilderte und Abhilfe erbat, bekannte der rechtsstaatlich-handlungs(un)fähige Kulturbürgermeister wörtlich, dass es „am Ende nur Verlierer” gäbe.
Hatte er etwa, ebenfalls bei MDR KULTUR am Vortag, das Michelangelo-Zitat vernommen „Wie kann das sein, dass ich nicht mein mehr bin? Gott, Gott! Wo soll das hin? Wer hat mich mir genommen?…” Weniger hilflos war uns kurz zuvor die „exemplarische Intellektuelle” Simone de Beauvoir an ihrem 100. Geburtstag am 9. Januar begegnet. „Bon Jour, Tristesse” hätte sie ausgerufen, wenn sie in diesen Tagen die Waldschlößchen-Brückenbaustelle vor der Dresdner Silhouette oder gar die Hinrichtung der Angelika-Buche hätte wahrnehmen müssen. Als am Ende nur der astlose Buchenstamm in den Himmel ragte, kam auch noch Wolfgang Amadeus Mozart zu Wort. Aus einem beim verlassenen Robin-Wood-Zelt aufgestellten Lautsprecher erklang plötzlich das Mozart-Requiem und hallte an den stehengebliebenen Stasi-Mauern wider. „Kyrie eleison – erbarme dich dieser Stadt!”, in der die einen mit den Bauarbeitern und Baumfällern fröhlich Bratwurst und Punsch genießen, während die anderen, flankiert von einer kulturellen Elite, in letzter Minute Unterschriften sammeln für einen Tunnel-Kompromiss – „Entgegenkommen” heißt das im Synonym-Wörterbuch, ein durchaus christlich-abendländisches Anliegen.
Vielleicht ist die Assoziation der „letzten Minute” unangebracht. Landschaftsbewusster Bürgersinn ist ein Dauerbestandteil des öffentlichen Bewusstseins in Dresden. Als der jüdische Mitbürger Victor Klemperer (1881 – 1960) durch die Naziverordnungen im Herbst 1941 zum Tragen des Judensternes gezwungen wurde, nutzte er mit seiner Frau den „letzten freien Tag ohne Judenstern” zu einem Spaziergang vom Körnerplatz zu den Waldschlösschenwiesen, ein „Weg, den wir in 21 Jahren nie gegangen sind” – offenbar war auch für Klemperer die Elblandschaft ein unantastbarer Freiraum. Das am Weg liegende Körnerhaus ließ er damals in seinem Tagebuch unerwähnt. In unseren Tagen hat es eine neue Symbolkraft erlangt. Der heutige Besitzer und Bewohner, noch vor Jahren von traditionsbewussten Dresdnern beargwöhnt, erweist sich im Körnerschen Geist als „Kämpfernatur” für die Unverletzlichkeit der Stadt und als Mitinitiator eines neuen Bürgerbegehrens zur welterbesensiblen Elbquerung.
„Schöne Welten sah ich vor mir liegen, und ich fühlte frei mich aller Banden!” (Theodor Körner)