Editorial April 2008

Traditionspflege ist eine Medaille mit zwei Seiten. Man kann die „guten alten Zeiten“ verherrlichen und findet sich bald in Kreisen mit rückwärtsgewandten Ansichten. Man kann Geschichte aber auch lebendig halten, respektable Leistungen ehren und Schlüsse für die Gegenwart ziehen. Nicht immer finden wir das Maß, Geschichtsaufarbeitung unterliegt eben auch dem Zeitgeschmack.

Jürgen Frohse

Jürgen Frohse

Kam König Friedrich August III. wirklich zur Einweihung des Realgymnasiums Blasewitz? Einige manipulierte Fotos lassen Zweifel aufkommen. Vielleicht war er einige Wochen später da. Aber ist das wichtig? Von Bedeutung ist der Bürgersinn der Blasewitzer, ein eigenständiges Gymnasium gegen Widerstände gegründet zu haben. Schlimm ist, dass man nach dem Krieg das Wandgemälde in der Aula abbrannte, weil Traditionen nicht opportun waren. Und schwer nachvollziehbar ist, warum man heute den Standort eines traditionsreichen Gymnasiums aufgibt, denn ganz sicher wird mit dem Umzug die Geschichte des Hauses verblassen. Schon heute gibt es keinen Platz, Artefakte wie die Schulfahnen angemessen aufzubewahren.

Alte Bäume haben derzeit keine große Lobby in dieser Stadt. Auch ehrwürdige Alleebäume werden gefällt (Kas­tanienallee Pillnitz), andere Bäume bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auf einige, die zu Ehren eines Königs gepflanzt wurden, macht zu Recht Dr. Rainer Pfannkuchen aufmerksam. Denn selbst im Zentrum des Kapitals, in London, werden Bäume hoch verehrt und Straßenführungen passen sich ihnen an.

Einer, der sich mit Geschichte beschäftigt und sich immer wieder engagiert für den Elbhang einsetzt, ist Werner Felgendreher aus Hosterwitz. Auf eine leise Art ist er vielerorts dabei und konnte viele kleine Probleme lösen.

Wie Tradionen fortgeführt werden und dennoch Veränderungen unausweichlich sind, beschreibt Martin Steude im Interview zur 110-jährigen Geschichte des Künstlerhauses. Es gilt, ein Vermächtnis zu erfüllen und sich trotzdem der Zeit zu stellen.

Auf Traditionen bezieht sich auch ein Architekturbüro, welches jetzt anstelle der ehemaligen Gaststätte „Loschwitzhöhe“ einen Gaststätten- und Hotelkomplex bauen will. Hier sollte man das architektonische Vorbild über den Haufen werfen und mit modernster Architektur ein Wahrzeichen setzen – nicht durch Größe, sondern mit Stil und Augenmaß.

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