Erbauliches aus Bühlau – Einst war die Dresdner Heide noch sehr mit den Heidedörfern verwachsen. Um die vorige Jahrhundertwende bezeugen Postkarten auch eine Zusammengehörigkeit von Wald und Wohnstätten.
An der Bautzner Straße hatte das Wäldchen einen Namen: „Bauernbusch“. Horst Milde vom Weißen Hirsch berichtet aus seiner Kindheit: „Die ersten Erinnerungen an Bühlau beginnen um 1930 damit, dass meine Eltern mit mir nicht mehr zum Besuch der Großeltern nach Plauen fuhren. Stattdessen ging es mit der Linie 11, nach Umsteigen an der Moritzstraße, bis Straßenbahnhof Bühlau. Danach liefen wir die Neubühlauer Straße hoch. An der Hegereiter Straße begann ein Wäldchen namens Bauernbusch, dahinter folgte Wiese bis fast zur Tannenbergstraße. Diese wurde 1945 in Braunsberger, 1967 in Weißenberger Straße umbenannt. Nach und nach bauten sich ringsum andere Leute ihre Eigenheime, das Wäldchen blieb noch unberührt. Schnell fand Opa heraus, dass dort des Mischwaldes wegen herrliche Steinpilze wuchsen – es war das Gelände des Grundstückes, das später der Schauspieler Willy Kleinoschegg bebaute…“.
Im aufstrebenden Luftkurort Bühlau um 1900 stellte der Gemeinderat fest, dass eine Neuordnung der Straßen und Wege nötig sei. Bebauungspläne wurden angefertigt. Auf einem solchen Plan von 1906 wurde der Teil zwischen Königsberger Straße und Nachtflügelweg als „Straße F“ bezeichnet. Zuvor ist in einer Akte aus dem Jahre 1901 der Beschluss festgehalten, dass der von der Bautzner Straße nach dem Staatswalde führende Weg mit „Forststraße“ zu benennen sei. Seit dem 1. Juni 1926 heißt diese Straße „Am Bauernbusch“ und soll an jenes Wäldchen erinnern, das Horst Milde einst nachhaltig begeistert hat. Der „Bauernbusch“ ist eine Straße mit spannenden Begebenheiten, einer rasanten Baugeschichte und vielen unterschiedlich geprägten Menschen. Beginnen wir an der Bautzner Landstraße, gegenüber der einstigen Gaststätte „Heiterer Blick“ und heutigem Bürohaus, und versuchen, bis zum Nachtflügelweg voranzukommen.
Wir stehen an der Nummer 1. Das Gebäude hat eine lange Geschichte. Mit der Errichtung im Jahre 1873 entstand auch gleichzeitig eine Gartenlaube. Mit ihr verbanden sich unzählige gesellige Zusammenkünfte. Die Laube ist im Sommer über und über mit Weinranken zugewachsen, im Herbst ein wunderbares Farbenspiel. In der alten Laube hängt noch ein rustikales Schild mit dem Namen „Weinlaube“. Hier kamen die Bewohner des Hauses, die Familien Müller und Däbritz, mit Freunden und Bekannten beim Skat (siehe Titelbild) oder beim „Kegelclub Müller“ zusammen. Die Vereins-Kegler trafen sich zur Ausführung ihres Sports hinter dem Nebengebäude.
Gegenüber besuchen wir die Autowerkstatt Andreas Knop, Bautzner Landstraße 119, mit Eingang Am Bauernbusch. Der Besitzer führt die Werkstatt seit 1996. Die Räume erinnern noch an die Produktionsstätte des VEB Bühlauer Kartonagen. Martin Lenk fing nach dem Krieg an, mit einer aus Trümmern geborgenen Maschine und zwei Mitarbeitern, Bilderrahmen aus Karton, kaschiert mit diversen Papieren, zu produzieren. An verschiedenen Stellen in Bühlau sind im Laufe der Jahre Produktionsstätten und Lager entstanden. Es wurden Industrie- und Feinkartonagen hergestellt. 1972 wurde seine Firma volkseigener Betrieb und nannte sich VEB Kartonagen, wobei am Bauernbusch schwerpunktmäßig produziert wurde.
Martin Lenk verstarb 1976. Im nächsten etwas abseits stehenden Gebäude, Am Bauernbusch 2, lebte nach dem Krieg für eine gewisse Zeit Frau Annelie Schmutzler-Häßlich. Als Sängerin im „Heimatquintett Dresden“, dessen Leitung Paul Zschokke hatte, wurde sie weit über Dresden hinaus bekannt. Im gleichen Haus wohnte jahrzehntelang Prof. Dr. med. Dr. h. c. Werner Schminke, Lehrstuhlinhaber an der Med. Akademie „Carl Gustav Carus“ in Dresden. Er starb 2003 mit 82 Jahren in Bühlau.
Das nächste Gebäude, 1930 erbaut, ist mit dem Namen eines Bühlauer Lehrers verbunden. Am 15. August 1949 zog Helmut Koch mit seiner Familie in das ehemalige Einfamilienhaus im Hochparterre Am Bauernbusch 4 ein. Die Kochs wohnten bis 1966 im Haus. Viele Kinder erinnern sich gern an den beliebten Schullehrer.
Wir bleiben auf der rechten Seite der Straße. Ein paar Schritte weiter stehen wir vor einem größeren Gebäude mit einer bewegten Geschichte. Der Bau ist mit dem Großwildjäger Wörner in Verbindung zu bringen. Trophäen von seinen Großwildjagden hängen noch bis heute in einem Balkon in der zweiten Etage. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges lebte er schon nicht mehr. Hier endete die Forststraße. Die anschließenden Kornfelder erstreckten sich bis zum Wald. Ein Weg kreuzte die Felder, der später zur Königsberger Straße ausgebaut wurde. Mit der Entwicklung zum Luftkurort Bühlau hatte das Haus „Pension Winde“ eine große Anziehungskraft (siehe EHK 5/2007, S. 19). Seit März 1916 war es als Militär-Genesungsheim des Roten Kreuzes für Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges eingerichtet worden.
Heute ist das behutsam sanierte Haus in Privatbesitz. Kurz vor der Königsberger Straße erblicken wir auf der linken Seite Am Bauernbusch 7 ein hübsches saniertes Haus. Hier wohnte einst die Familie Gössel. Die zwei Kinder waren klein von Wuchs. Später hat Willy Gössel im Haus der Eltern einen Tabak- und Spirituosenladen betrieben, während die Schwester eifrig für die Nachbarschaft schneiderte. Willy stand mit seinem Spezial-Rollstuhl oft an der Grundstraße/Ecke Angerapper Straße und verkaufte Tabakwaren und Spirituosen, die er in einer Kiste auf seinem Selbstfahrer verstaut hatte. Den Bühlauern war Willy Gössel sehr vertraut.
Gegenüber an der Kreuzung ist das Gebäude der Familie Dr. med. Lutz-Ulrich Kelly, Chefarzt der Urologie im Diakonissenkrankenhaus, eigentlich zur Königsberger Straße zugehörig. Der Eingang wurde aber seinerzeit Am Bauernbusch eingerichtet. Dadurch gibt es Möglichkeiten, mit Kellys einen „Plausch über den Gartenzaun“ zu führen. Um 1938 bewohnten das Haus Am Bauernbusch 12 als Hauseigentümer Jutta von Zobel, die Großmutter von Georg Wolf von Zobel, und Franziska von Zobel, die Mutter von Wolf von Zobel, als Witwe von Georg Constantin von Zobel, Generalleutnant zu Diensten Seiner Exzellenz Zeugmeister und Träger von sieben Medaillen und Militärorden.
Die Familie wohnte um 1915 in der Neustadt. Später zogen der erste Sohn von Franziska von Zobel, Dr. jur. Georg von Zobel (1885 – 1977) und seine Ehefrau Dorothea von Garnier (1889 – 1977) in das Haus. Dorothea stammte aus dem elsässischen Adel. Georg Wolf von Zobel war Amtsvorsteher und Oberbürgermeister einer Gemeinde bei Dresden. In Bühlau nahmen beide aktiv am Kirchgemeindeleben bis zu ihrem Ableben im Jahre 1977 teil. Gegenüber Am Bauernbusch 11 lässt sich mit der Schilderung des Baugeschehens ein allgemeiner Wohnwunsch in der beschaulichen Straße an der Dresdner Heide in den dreißiger Jahren ablesen. Die Familie Mühlbauer entschloss sich, hier ihren Wohnsitz zu bauen, direkt hinter dem Ruheheim für Senioren-Ehepaare. Kurt Mühlbauer war Konstrukteur und in der Zigarettenbranche tätig. Ein ideales erholsames Gelände inmitten der Dresdner Heide. Sie kauften das Land vom Erbhofbauer Emil Schäfer für 2.500 Reichsmark. Am 1. April 1936 war das Gebäude bezugsfertig. Von den stattlichen Kiefern der Dresdner Heide rings um das Haus sind während des Krieges sieben Bäume für Feuerungszwecke zum Opfer gefallen.
Die Enkelkinder von Kurt Mühlbauer haben das Haus in letzter Zeit saniert. In ähnlicher Weise und durch ähnliche Familiengeschichten sind eine Reihe von Gebäuden nach und nach in dieser Zeit Am Bauernbusch entstanden. Nach der Wende wurde das Haus Am Bauernbusch 15 verkauft und grundlegend saniert. Danach zogen in dieses Gebäude Ärzte ein. Wir begegnen dem Ehepaar Langer. Dr. med. Heinz Langer kann auf ein sehr bewegtes Leben zurückblicken. Beschränken wir uns auf seine besonderen Verdienste nach der Wende. Zu nennen wären seine Forschungen auf dem Gebiet der Akupunktur. Wir zitieren ihn selbst: „Was ich mir anrechne: Der Akupunktur zum Durchbruch verholfen, mehrere Geräteentwicklungen zur Elektrostimulation befördert und ein erfolgreiches Programm für die Behandlung von Schmeckstörungen entwickelt zu haben. Ein besonderes Anliegen war mir das Projekt Kunst im Krankenhaus, welches über die UNESCO große internationale Anerkennung gefunden hat.“ Als Künstler darf er eine ansehnliche Zahl von Ausstellungen im Genre der Malkunst und Veröffentlichungen von Büchern und Buchbeiträgen aufzählen.
Am Bauernbusch 19 wohnten die weithin bekannte Scherenschnittmeisterin Frau Hausmann-Kohlmann und die Familie Dr. Honecker, Sohn des in Bühlau allseits geschätzten Arztes Dr. Honecker. Die Familie wechselte im Jahre 1959 den Wohnsitz in die Bundesrepublik. Kommen wir schließlich zum schmucken Gebäude Am Bauernbusch 22. Hier entdecken wir besondere sehenswerte Schmuckreliefs – auch Zuckerbäckerei genannt – an den Hauswänden und lassen uns den im Volksmund verbreiteten Hausnamen „Walserhaus“ erklären. Der Schriftsteller Martin Walser, er lebt heute in Überlingen am Bodensee, schildert in seinem 1991 erschienenen Roman „Die Verteidigung der Kindheit“ ein Stück Bühlau. Auf Seite 218 schreibt er: „Am Bauernbusch, keine hundert Meter vom Wald. Der nächste Weg vor zur Bautzner, ein Fußweg nur, hieß Nachtflügelweg. Wenn Alfred diesen am Wald entlang und durch den Wald durchführenden Weg ging, dachte er, dass dieser Weg nur ihm zuliebe Nachtflügelweg heiße. Er würde einmal eine Nachtflügelwegsuite komponieren, in d-Moll.
Das Haus am Bauernbusch war ein rührender Würfel aus den Dreißigerjahren. An der Hauswand lief ein Relief herum zur Verklärung der Berufe, die man selber meidet.“ Martin Walser ging auf dem Bauernbusch spazieren, hat aber nie im beschriebenen Haus gewohnt. Das „Millionengässel“ – so nannten viele Bühlauer den Bauernbusch ob seiner gutsituierten Hauseigentümer – bewohnten im Laufe der Zeit viele Menschen. Trotz unterschiedlicher Vergangenheit unter den jeweiligen Gesellschaftsordnungen, wurden immer wieder herzliche Nachbarschaften geschlossen.
Roland Lorenz