Für Freimaurerloge und häuslichen Kreis. Johann Gottlieb Naumann und das Dresdner Liedschaffen im 18. Jahrhundert

Rezension der Buchneuerscheinung (Dissertationsschrift): Eine Studie von Kornél Magvas –  nicht nur für Blasewitzer „Heimatforscher”

Johann Gottlieb Naumann, der kurfürstlich-sächsische Hofkapellmeister und berühmte Sohn von Blasewitz, ist dank vielfältiger musikalischer und publizistischer Bemühungen – nicht zuletzt im Elbhang-Kurier – in den letzten beiden Jahrzehnten wieder in das Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit geraten. Ging es um sein Schaffen, standen dabei vor allem Oper und Kirchenmusik, Aufführungen und Einspielungen durch den Körnerschen Sing-Verein (jetzt: Dresdner Vocal Concert) im Mittelpunkt. Wurde sein Leben thematisiert, galt dies zumeist der Spurensuche zur Familiengeschichte in Blasewitz und Loschwitz.

Im Herbst 2008 ist nun eine zweibändige Arbeit des Dresdner Musikwissenschaftlers und Gymnasiallehrers Kornél Magvas erschienen, die unter dem in der Überschrift genannten Titel einen bislang kaum beachteten Schaffensbereich des Hofkapellmeisters und seiner Dresdner Zeitgenossen beleuchtet. Die Studie zeigt, dass das damalige Bürgertum mit dem Musizieren in privaten Salons und Abendgesellschaften eine eigene Kultur zu entwickeln beginnt, die sich nach und nach von der bisher dominierenden Hof- und Kirchenmusik emanzipiert. Im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht Naumann mit weit über 300 geistlichen und weltlichen Liedern, Freimaurergesängen, Arietten und so genannten „Chansons”.

Die Freimaurerlied-Vertonungen des Hofkapellmeisters haben das musikalische Leben der Dresdner Logen in besonderem Maße geprägt. Anhand von Naumanns Wirken zeichnet der Autor die freimaurerische Musikpflege Dresdens im 18. Jahrhundert nach. Der Eintritt in die kleine Freimaurerloge Aux vrais amis 1774 konfrontiert Naumann sogleich mit dem sozialen Großprojekt der Dresdner Loge, dem Aufbau einer Armenschule in Friedrichstadt (das so genannte Freimaurer-Institut, das 1899 nach Dresden-Striesen umzog und heute die Kreuzschule beherbergt). Zum Benefiz dieser Schule komponiert Naumann seine erste Liedersammlung (1775). Neben einer Untersuchung zur Musik für den Schutzherrn der Dresdner Logen, Herzog Karl von Kurland, kann Magvas nachweisen, dass Naumann nicht nur zu den populärsten Komponisten seiner Zeit zählte, sondern der produktivste Freimaurerkomponist überhaupt war.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Naumannschen Schaffen für den „häuslichen Kreis”. Hier spielen die persönlichen Beziehungen und Freundschaften eine besondere Rolle, so die vertrauensvolle Verbindung zwischen Naumann und dem Ehepaar Hans Moritz und Christina von Brühl. Aus der Bekanntschaft mit der aus Kurland stammenden Elisa von der Recke (siehe EHK 12/2008) entsteht eine weitere tiefe Freundschaft, die Naumann zur Komposition ihrer Texte motiviert, aber auch dazu führt, dass die Dichterin zwischen 1799 und 1801 im Hause des Dresdner Hofkapellmeisters als „Kostgängerin” logiert. Nach seinem Tode setzt sie sich vehement für die Wahrung seines Andenkens ein. Eine ungemindert starke Schaffensphase in den 1790er Jahren fördert Naumanns Bekanntheitsgrad – bis weit ins 19. Jahrhundert – als Liederkomponist im deutschsprachigen Raum.

In einem dritten Kapitel wird nachgewiesen, dass Naumanns Liedkompositionen die ersten in der langen Reihe der Vertonungen von Goethe-Texten (beispielsweise durch Ludwig van Beethoven, Franz Schubert oder Hugo Wolf) waren.

Nach der Einordnung des Naumannschen Liedschaffens in die musikalische Entwicklung seiner Zeit folgt mit dem fünften Kapitel ein Überblick zum Liedschaffen der Dresdner Zeitgenossen Naumanns, u. a. von Tina von Brühl, Christian Gottfried Körner, Friedrich Joseph zu Racknitz, Joseph Schubert, Joseph Schuster, Franz Seydelmann und Christian Ehregott Weinlig. Kornél Magvas zeigt in diesem Kapitel, dass sowohl Berufsmusiker als auch Musikliebhaber das bürgerliche Musikleben in Dresden bereicherten.

Der schmalere, zweite Band umfasst einen Katalog mit den Liedkompositionen Naumanns – Drucke, Autographen, Abschriften. Das neue Standardwerk zum Dresdner Lied ist großzügig gestaltet und gut lesbar und mit einer Fülle an Abbildungen, Notenbeispielen und Tabellen ausgestattet. Es bietet nicht nur für den musikhistorisch, sondern auch für den regional- und kulturgeschichtlich Interessierten eine instruktive Lektüre.

Kornél Magvas, Für Freimaurerloge und häuslichen Kreis. Johann Gottlieb Naumann und das Dresdner Liedschaffen im 18. Jahrhundert, 2 Bde. (558 S. und XXI+275 S., zahlr. Abb., z.T. farbig),
ISBN 978-3-937788-14-2, 74,50 EUR. ortus musikverlag Krüger & Schwinger, Beeskow

Nach der bereits erfolgten Vorstellung eines Naumannschen Weihnachtsliedes im EHK 12/2008 wird Dr. Kornél Magvas seine abgeschlossene Naumann-Dissertation am Montag, 2. Februar, 20 Uhr im KulturHaus Loschwitz erläutern, musikalisch unterstützt von Mitgliedern des Dresdner Vocal Concert (Ltg. Peter Kopp). Dieser Abend wird auch an die, ebenfalls im EHK 12/2008 rezensierte, Geschichte des den Freimaurern verbundenen „Kurländer Palais” anknüpfen. Zugleich dürften sich aktuelle Bezüge zum Dresdner Freimaurertum ergeben, das sich derzeit auf den Einzug in das ehemalige Torhaus/Standesamt am Palaisplatz/Große Meißner Straße vorbereitet. Ein „Einzug” anderer Art wird sich im Sommer d. J. ergeben, wenn das Kreuzgymnasium in seine angestammten Räume an der Eisenacher/ Dornblüthstraße zurückkehrt, die ehemals dem Dresdner „Freimaurer-Institut” als Schul- und Internatsgebäude dienten.

 

Getagged mit: , , , , , , , ,
Veröffentlicht unter Kunst und Kultur, Musik, Zusätzliche Artikel online