Büstenhalter, Korseletts und Miederhöschen vom Weißen Hirsch

Der Frühling ist da, die Hüllen fallen…

Am Ende der sich mausernden, wieder schönen Plattleite Weißer Hirsch finden wir im Haus Nr. 51 das EVANA-Mieder Spezialgeschäft. Hier, in dem einst verträumten Pelzladen Jungnitzsch, betreibt Familie Vogel seit 2002 ihr Spezialgeschäft. Vorher befand es sich im Eckhaus Plattleite 49, auch bekannt mit der „Pension Steiner“. Das Gebäude beschreibt Uwe Tellkamp in seinem Roman „Der Turm“. Mit fast 80-jähriger Tradition reiht sich EVANA-Mieder ein in die typischen, den Ruf und das Milieu des Weißen Hirsch bestimmenden und in ganz Dresden bekannten Spezialgeschäfte. Dazu zählen noch in den 70er Jahren z.B. Juwelier Pieper, die Bäcker Wachendorf und Walter, Konditor Binneberg, Foto Wolf oder Briefmarken-Milde.

Martin Vogel inmitten seiner Mitarbeiterinnen. Foto:Archiv Tino Vogel

Martin Vogel inmitten seiner Mitarbeiterinnen.
Foto:Archiv Tino Vogel

Maß nehmen – zuschneiden –  anprobieren –  letzte Änderungen – abholen!

Ruth Vogel (79), gute Seele und Seniorchefin, bringt den andauernden Erfolg des Geschäfts auf den Punkt: Hier wurde und wird individuell und nach Maß gefertigt. Hier kauft, wer Handwerk schätzt. Beratung ist bei Vogels Alles! Liebevolle Spitznamen für das Geschäft und dessen Haupterzeugnis sind nach wie vor „Busen-Vogel“, „Klößlraffer“ oder „hebt die Gefallenen“. Es sind treffende Bezeichnungen für die „edlen Stücke“. Hergestellt werden BHs als „Hohe Schale“, „Spitzenträger“, „EVA-Halter“ oder „Körbchen-Halter“. Alle bestehen aus drei Teilen: Oberbrust, Unterbrust und Rücken­teile fürs Körbchen. Darin sind Seitenteile, Träger und Verschluss. Na, meine Herren, auch schon einmal daran in gewissen Stunden gedacht!?

Eine für das Programm des Theaterkahns „Frivoles für Fortgeeine für das Programm des Theaterkahns „Frivoles für Fortgeschrittene“ angefertigte Büste.schrittene“ angefertigte Büste. Foto: Archiv Tino Vogel

Eine für das Programm des Theaterkahns „Frivoles für Fortgeeine für das Programm des Theaterkahns „Frivoles für Fortgeschrittene“ angefertigte Büste.schrittene“ angefertigte Büste.
Foto: Archiv Tino Vogel

Erfolg mit bestem Service und Qualität

Die traumhaft schönen und wertvollen Bekleidungsstücke werden nur im Geschäft verkauft. EVANA lebt zugleich vom Versand der Miederwaren. Der Kundenkreis reicht vom Bodensee über Stuttgart bis Hamburg. Häufig sind es einst auf dem Weißen Hirsch wohnende Damen, welche die Firma und ihre Qualitätsarbeit schätzen. Nicht selten ist, dass moderne Großmütter ihren Enkelinnen das Geschäft empfehlen.

Zu den Kunden gehören auch verschiedene Kulturinstitutionen wie Semperoper oder Staatsschauspiel. Theaterprinzipal Friedrich Wilhelm Junge ließ spezielle Korsagen für die Aufführung „Frivoles für Fortgeschrittene“ (Abb.) anfertigen. Die bekannte Schauspielerin Traute Richter gehörte in den 50er und 60er Jahren zur Kundschaft, heute z. B. Uta Bresan. Auch ein halbes Dutzend Männer sind Miederwaren kaufende Stammkunden!

Die „Große Extra Hebe“

Befragt nach Besonderem, erzählt Frau Vogel schmunzelnd von einer großen „Extra Hebe“, die sie für eine sowjetische Offiziersfrau schneiderte. Nach Abzug und Demobilisierung ihres Mannes kehrte sie noch zwei Mal auf den Weißen Hirsch zurück, um sich jeweils eine neue, große und gute „Hebe“ anmessen zu lassen. Nachdenklich erinnert sie sich an Erzählungen ihres Mannes. Er berichtete über Spaziergänge mit seinem Boxer in der Heide. Vorbeikommend am sowjetischen Lazarett im ehemaligen Lahmann-Sanatorium habe er an der Stechgrundstraße wachhabenden jungen Soldaten manchmal heimlich Zigaretten und zu Weihnachten ein Fläschchen Wodka zugesteckt.

Ruth Vogel, Mutter des heutigen Geschäftsführers Tino Vogel, Ende der 50er Jahre. Foto: Archiv Tino Vogel

Ruth Vogel, Mutter des heutigen Geschäftsführers Tino Vogel, Ende der 50er Jahre.
Foto: Archiv Tino Vogel

Generationen staunender kleiner Jungs vor dem Schaufenster

Frühlingshafte Temperaturen bringen sie jetzt ans Tageslicht, die schönen geformten Busen der Mädchen und Frauen, mit und ohne Büstenhalter, unter Blusen, die mehr zeigen als verhüllen, unter luftigen Kleidern, die mehr blicken lassen als bedecken. Oben „ohne“ ist sicher eine Frage der Mode, der Figur, des Alters; der Büstenhalter bleibt in Mode! Vor Jahren machte eine Meldung auf ihn aufmerksam: Der BH-Vertrag von Model Eva Herzigova soll einmalig in der BH-Werbung gewesen sein – er brachte 15 Millionen Mark! Damit kann EVANA-Mieder nicht aufwarten. Es ist aber das einzige Geschäft in Sachsen und weit darüber hinaus, das Miederwaren – und dazu gehört der Büs­tenhalter – nach Maß individuell herstellt. Und das seit 1930!

Werbung für Konfektionsware aus dem Hause VEB Riosana Korsettfabrik Oelsnitz/Vogtland, 1962. Foto: Sammlung T. Vogel

Werbung für Konfektionsware aus dem Hause VEB Riosana Korsettfabrik Oelsnitz/Vogtland, 1962.
Foto: Sammlung T. Vogel

Miederschneiderei betrieben hauptsächlich Frauen

Die Chefs bei Vogel waren aber immer Männer. Martin Vogel grün­dete vor 79 Jahren auf der Gos­tritzer Straße in Strehlen die Miederwarenwerkstatt. Seine Frau Eva zog über die Dörfer, um den Landbewohnerinnen Mieder anzumessen. In der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit führte sie – auch während der siebenjährigen Gefangenschaft ihres Mannes in Russland – das Geschäft. In der 1945 ausgebombten Wohnung wurde wieder begonnen und 1953 Werkstatt und Geschäft nach dem Weißen Hirsch verlegt. Es folgte 1981 Sohn Ralf, der bis zu elf Mitarbeiterinnen beschäftigte. Ralf Vogel verstarb 1991. Heute leitet Tino Vogel (s. auch EHK 3/2009) in dritter Generation die Geschicke der kleinen Unternehmung auf der Plattleite 51.

Die Belegschaft zum Fasching 1985.  Foto: Sammlung T. Vogel

Die Belegschaft zum Fasching 1985.
Foto: Sammlung T. Vogel

Tino Vogel – Miederschneidermeister und Weinhändler

Der junge Miederschneidermeister setzt alte Traditionen fort, unterstützt seine Mutter gemeinsam mit  zwei Mitarbeiterinnen, die lang­jährige Berufserfahrung besitzen. Frau Richter aus Reizendorf arbeitet bereits seit 1989 als Miederschneiderin bei EVANA. Frau Kirst, begann als Lehrling mit 14 Jahren und ist gar 42 Jahre in der Firma – ein schönes Zeichen für das familiäre Klima in der Firma. „Obwohl Miederwaren in vielfältigsten Formen in zahlreichen Fachgeschäften und Warenhäuser angeboten werden, hat nach 1990 die Nachfrage nach indivi­duell gefertigten Büstenhaltern, Korseletten, Hüftformern und Miederhöschen für Frauen, auch mit Übergrößen oder Körperschäden nicht nachgelassen!“, erklärt der Firmenchef. „Die in unserer Werkstatt hergestellten Miederwaren werden im eigenen Fachgeschäft angeboten. Die Industrie kann niemals die gefragten Einzelanfertigungen für Problemfiguren herstellen“. Und so genießt das Firmenzeichen „EVANA“ hohes Ansehen.

Das Eckhaus Plattleite 49  mit „Evana-Mieder“. Foto: Sammlung T. Vogel

Das Eckhaus Plattleite 49 mit „Evana-Mieder“.
Foto: Sammlung T. Vogel

Die wundervolle Erfindung aus Dresden

Mittlerweile ist bekannt, dass 1899 das Dresdner Fräulein Christine Hart den Büstenhalter aus zusammen geknüpften Taschentüchern und Männerhosenträgern zum Patent anmeldete als „Leibchen, das die Brust in Form hält“. Die Funktion bestand nach Fräulein Hart darin, die Brüste aufrecht zu halten, ohne die „Funktion“ zu beeinträchtigen. Schnürungen wie in vergangenen Jahrhunderten werden unvorstellbar, niemand wird bald noch Schnürmieder mit starken Schienen aus Eisen, Holz oder Fischbein – wie noch Anfang des 20. Jahrhunderts üblich – tragen. Das Korsett, kräftig geschnürt, war eher ein „Marterwerkzeug“ und vor allem auch ungesund.

Am BH spiegeln sich Trends und Zeitgeist: in den 1920er verkleinernd, rund in den 30ern, züchtigspitz in den 50ern. In den 60ern kam es zu BHs ohne Einlage, Versteifungen und Nähte aus dünnem, durchsichtigem Material. Mit der neu aufflammenden Frauenbewegung in der BRD der 70er soll es sogar zu öffentlichen BH Verbrennungen gekommen sein (1).

Unverzichtbares Kleidungsstück

Wenn auch manche Frauen ohne BH auskommen: die meisten können nicht darauf verzichten. Wie alle Körperteile kann auch der Busen einer Frau „abnormal“ sein, zu klein oder zu groß, und auch erforderliche Brustoperationen müssen berücksichtigt werden. Welche BH-Formen oder Farben bevorzugen die Dresdnerinnen, das wollten wir von Meister Vogel weiter wissen, ohne indiskret zu werden. „Sie sind in der übergroßen Zahl konservativ und tragen wie einst die Grundfarben Weiß, Schwarz, Haut- bzw. Puderfarben. Wäh­rend früher Atlas und Stoffe mit Gummieinsätzen verarbeitet wurden, werden heute überwiegend hoch veredelte Kunstfaser, die teilweise Seidenqualitäten erreichen, oder auch Fasermischungen eingesetzt. „Es ist die weiche Welle gefragt“, meint Tino Vogel vergnüglich und wendet sich einer weiteren Kundin zu.

  1. s. K. Gertoberens, Sächsische Erfindungen, 2. Auflage, Dresden 2008
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Veröffentlicht unter Artikel aus der Print-Ausgabe, Handwerk