Und schließlich begannen sie sich zu wehren

Anwohner-Proteste an der Grundstraße gegen Straßenausbaugebühren

Für die Grundstücksbesitzer der Grundstraße gab es kurz vor Weihnachten (und nach Redaktionsschluss für die Januar-Ausgabe des Elbhang-Kuriers) eine böse Überraschung: Deftige Gebührenbescheide für die vor zehn Jahren fertig gestellte Straße. Der Aufregung im privaten Kreis folgten nach einem Austausch der Meinungen gemeinsame Protestaktionen. Betroffene beantragten Akteneinsicht und stellten fest, dass es beim Bau der Straße vor allem um die akute Einsturzgefahr des Bachkanals und nicht um die Erhöhung der Straßenqualität, eine Voraussetzung für die Erhebung der Gebühren, ging. Ungereimtheiten fanden sie auch beim Abschlusstermin der Baumaßnahme. Die Gebühr für einen Grundbucheintrag eines für die Straßenerweiterung angekauften Grundstücks wurde Monate nach dem Bezahlen aller anderen Rechnungen als Stichtag angesetzt, der eine Verjährung jetzt ausschließen soll. Viele Gebühren wurden auch falsch berechnet. Es wurden private Grundstücksflächen für die Erweiterung des Straßenraumes enteignet (wofür so mancher bis heute kein Geld sah), aber jetzt mit in die Berechnungen einbezogen. Die Solidarisierung an der Grundstraße führt nun auch dazu, dass man die Historie befragt und merkt, an welch wunderbarem Ort man wohnt und sich vorstellt, wie schön es ohne den starken Verkehr wäre.    

Jürgen Frohse


Foto: Jürgen Frohse

Foto: Jürgen Frohse

Im Osten Dresdens liegt ein vergessener Schatz verborgen. Vor wenigen Jahrzehnten hatten viele Dresdner noch kein Auto. An Sonn- und Feiertagen strömten sie zu Fuß gemeinsam mit ihren Familien durch Loschwitz und Blasewitz zu den nahe gelegenen Elbhängen. Berühmte Dichter und Maler hielten diese Idylle in Wort und Bild fest. Der Pionier unter den Fotografen, August Kotzsch, hinterließ uns eindrucksvolle Bilddokumente. Die Grundstraße war damals schon eine wichtige Verbindung zur Dresdner Heide und ins Bautzener Land. Über Jahrmillionen hatten der Losch­witzbach und seine zahlreichen Zuflüsse eine romantische Tallandschaft geschaffen. Hier gab es Wassermühlen, zahlreiche Häuslerwirtschaften und gemütliche Ausflugslokale. Die Menschen fühlten sich wohl hier. Ganz allmählich nahm der Autoverkehr zu. Die Straße wurde verbreitert und das Flüsschen einfach einbetoniert. Nur noch an wenigen Stellen tritt es ans Tageslicht, ist aber kaum noch zugänglich.

Sanierung der Grundstraße mit dem Trillekanal, 1999. Foto: Jürgen Frohse

Sanierung der Grundstraße mit dem Trillekanal, 1999.
Foto: Jürgen Frohse

Die Folgen im Osten waren dramatisch. Wunderschöne Wanderwege, Parkanlagen, Spielplätze, kleine Wasserfälle und Teiche verfielen oder wurden einfach zugeschüttet. Die Ausflügler blieben weg und alle Gaststätten wurden geschlossen. Besonders nach der Wende nahm der Durchgangsverkehr autobahnähnlichen Charakter an. Hier entstand die beliebteste Rennstrecke und gleichzeitig die größte Staufalle der Stadt. Nur einige Anwohner blieben, entweder, weil sie nicht genug Geld hatten wegzuziehen, oder weil sie den wahren Wert ihrer Heimat zu schätzen wussten. Einige zogen sogar neu hierher und bauten mit viel Liebe und Fleiß die schon dem Verfall preisgegebenen Häuschen wieder auf. Ab und zu machte sich auch das einbetonierte Flüsschen kraftvoll bemerkbar, sprengte sein unterirdisches Verließ, überspülte die Straße und brachte sie stellenweise zum Einsturz. Fast zehn Jahre brauchte man, um es wieder unter die Erde zu zwingen. Die Autos konnten wieder rollen, noch zahlreicher und noch schneller. Lärm und Umweltverpestung wurden unerträglich.

Mit der Einweihung der Ampelanlage durch OB Ingolf Roßberg wurde die Baumaßnahme Grundstraße 2001 abgeschlossen. Foto: J. Frohse

Mit der Einweihung der Ampelanlage durch OB Ingolf Roßberg wurde die Baumaßnahme Grundstraße 2001 abgeschlossen.
Foto: J. Frohse

Dann kam ein schwarzer Tag, an dem die Stadt das Geld für den teuren Bau eintreiben wollte. Ausgerechnet die geplagten Anwohner sollten die Zeche bezahlen. Es war ein schlimmes Weihnachtsfest, weil viele gar nicht wussten woher sie so viel Geld nehmen sollten. In ihrer Not trafen sie sich mit den Nachbarn und berieten, was nun zu tun sei. Viele hatten schon lange nicht mehr so ausführlich miteinander gesprochen – schon wegen des Lärmes auf der Straße. Nun aber spazierten sie gemeinsam zum alten Gasthaus „Zur Eule“ wie in alten Zeiten. Hier erzählten ihnen die gewählten Volksvertreter und Stadtverwalter in unverständlichen Worten, die sie in ihren Amtsstuben gebrauchen, dass sie zu zahlen hätten. Immerhin könnten sie sich das Geld auch stunden lassen oder ihre Häuser verschulden. Erstaunt fragten sich die Bürger, warum sie etwas bezahlen sollen, was sie weder bestellt hatten und gleich gar nicht gebrauchen können. Einige gingen sogar soweit, zu fragen, ob die Obrigkeit nun jede Bodenhaftung ver­loren hätte und gar nicht mehr wüsste, wie das „gemeine Volk“ lebt.

Und schließlich begannen sie sich zu wehren. Sie wollten ein Stück ihrer Heimat wiederhaben. Sie wollen wenigstens an einigen Stellen wieder an ihrem Bach spazieren gehen, sich unterhalten können, ohne sich dabei anbrüllen zu müssen und wieder frei atmen können. Davon hätten doch Alle etwas. Dieses schöne Stück Heimat könnte neu erblühen und die Menschen müssten nicht mehr viele Kilometer fahren, um sich zu erholen. Schauen Sie sich bei Ihrem nächsten Spaziergang doch mal auf den Bergwegen am Hang um. Leider sind schon viele nicht mehr begehbar und man kann die alte Schönheit nur erahnen. Ganz Losch­witz und Blasewitz und sogar das alte „Blaue Wunder“ müssten nicht mehr unter der unerträglichen Verkehrslast stöhnen. Ohnehin ist es gesünder, die Busse stehen zu lassen, das Fahrrad zu benutzen oder zu Fuß zu gehen. Und diejenigen, die unsere Straße unbedingt befahren müssen, können das auch mit Tempo 30 tun und dabei die schöne Landschaft genießen. Damit gäbe es weniger Staus, weniger Unfälle und keine Verkehrstoten mehr. Vielleicht könnte man auch wieder Elektrobusse einsetzen, so wie das unsere Vorfahren schon vor über 50 Jahren taten und dafür die schweren Dieselstinker einsparen. Da wird viel von Klimakatastrophe und von Umweltschutz geredet, aber das Naheliegende wird einfach übersehen. Vermutlich wären selbst wir Grundstraßenbewohner nicht so schnell auf solche Ideen gekommen, wenn uns die Geldeintreiber der Stadt nicht das Weihnachtsfest verdorben hätten. Doch wie heißt es so treffend: „Die Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“

Erst wenn wir das letzte Stück unserer schönen Heimat zerstört haben, werden wir verzweifelt in unseren Autos im Stau sitzen und uns nach einem Spaziergang in der Nähe unserer Wohnung sehnen. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es – und zwar Obrigkeit und Bürger gemeinsam.

Stephan Timmroth

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