Meine Zeit gehörte der Kirche und nicht der Partei

Zum 100. Geburtstag am 9. Oktober: Magdalena Kupfer – Lebensbild einer Hundertjährigen, Teil 1

Ein Besuch bei unserer Nachbarin Frau Magdalena Kupfer im Pflegeheim, Hegereiter Straße 6, kann zu einem besonderen spannenden  Erlebnis werden. Ich habe mich auf ihrer Station angemeldet und weiß zumindest in diesem Augenblick, dass die fast hundertjährige Dame „an diesem Tag gut drauf ist“. Nun sitze ich an ihrem Tisch, der voll von Zeitschriften, Artikeln und anderen interessanten lesenswerten Materialien ist. Mir gegenüber eine kleine, zierliche und zerbrechliche Dame. Sie zieht mein Konzept aus dem Stapel hervor, das ich für die Presse erarbeitet habe. Mit hellwachem Geist hat sie jeden Abschnitt bearbeitet, korrigiert und Ergänzungen dazu geschrieben. Wir haben schließlich in gutem  Einvernehmen alles besprochen. Meine einstige Psychologie-Dozentin hat ihren Segen zu meiner Arbeit gegeben! Wer ist dieser Mensch, der für viele Zeitgenossen von großem Interesse ist?

Es lohnt sich, aufmerksam ihren Lebenslauf zu verfolgen. In der Ausbildung am Diakonenhaus Moritzburg haben wir, Oberschüler und junge Männer mit abgeschlossener Berufausbildung, 1954 im Fach Psychologie die Dozentin Magda Kupfer kennen gelernt. Diese Stunden sind uns noch heute in lebhafter Erinnerung geblieben. Zusammen mit ihrem Bruder, Pfarrer Johannes Kupfer, haben sie uns ein gutes Rüstzeug für den späteren Dienst als Religionspädagogen in den sächsischen Gemeinden gegeben. Magda Kupfers Organisationstalent verdanken wir 1957 (!) einen mehrwöchigen Aufenthalt im nördlichen Schwarzwald. Ich ahnte damals nicht, dass sich unsere persönliche Verbindung bis ins hohe Alter erhalten würde. Dass ich in Dresden-Bühlau „gleich um die Ecke“ wohnen würde, wenn es um einen Besuch bei ihr im Ruheheim in der Hegereiter Straße gehen würde und dass ich ein Exemplar ihrer herzerfrischenden „Lebenserinnerungen“ (in einer sehr kleinen Auflage) mit Widmung erhalten würde! Aus besonderem Anlass blättern wir ein wenig in ihren Aufzeichnungen und wollen den interessierten Leser an ihrem Lebensrückblick teilnehmen lassen.    

Ein „Meisterwurf“, 1928. Foto: Sammlung Magdalena Kupfer

Ein „Meisterwurf“, 1928.
Foto: Sammlung Magdalena Kupfer

Kindheit und Jugend in der Weimarer Republik

Magda Kupfer wurde am 9. Oktober 1910 in Leipzig geboren und wuchs in einer tiefgläubigen Buchdruckerfamilie im Ortsteil Anger-Crottendorf  als die Jüngste unter  drei Geschwistern auf. In Leipzig besuchte sie die Höhere Mädchenschule, wo sie auch eine wunderbare Spracherziehung und zugleich in den Fremdsprachen Französich und Englisch denken und verbalisieren lernte. Es war die reform-pädagogische Schule von Hugo Gaudig. Ihre geistliche Heimat war außer der Familie ein Mädchenbibelkreis in der Nachbargemeinde. Dort sollten die Weichen für ihr weiteres Leben gestellt werden; auch hier „lebte ich gerne und fröhlich, und meine Glaubensverbindung zu meinem Herrn und Heiland  war ebenfalls eine helle und fröhliche“. Frühzeitig schon setzte sie in ihrem Leben Zeichen. Mit dreizehn Jahren gehörte sie zur Jugendgruppe des „Bundes Deutscher Kriegsgegner“.

„Als ich die Oberprima absolvierte, wurde ich vom neuen Rektor gebeten, zu irgendeinem offiziellen Schulfest einen mir vorgegebenen Text offiziell zu rezitieren, der nationalistisch hoch gestylt war. ,Das kann ich nicht vortragen, das ist mir zu chauvinistisch!’ Daraufhin wurde ich von diesem Direktor von oben herab abgekanzelt, mir fehle wohl das Nationalgefühl. Ich antwortete, indem ich ihn an die früheren ,Offenen Tage‘ unserer Gaudig-Schule
erinnerte, an denen Pädagogen anderer Nationalitäten Europas unsere lieben Gäste gewesen waren.“

Lernen für die Prüfungen mit gebrochenem Bein, 1933.    Foto: Sammlung Magdalena Kupfer

Lernen für die Prüfungen mit gebrochenem Bein, 1933.
Foto: Sammlung Magdalena Kupfer

Studium und Auseinandersetzungen mit dem Nazionalsozialismus

Das Studium war für Magda Kupfer eine herrliche Zeit, es taten sich ihr neue geistige Horizonte auf. Die drei Hauptfächer (Pflichtfächer) waren Pädagogik, Psychologie und Philosophie. Als so genanntes Wahlfach erkor sie die Psychologie, weil sie meinte, „dieses Fach kannst du nun bis auf den Grund studieren“. Die Prüfungen brachten für sie ein außergewöhliches Erlebnis. „Vor dem Examen im Dezember 1933 war mir ein Radunfall beschieden. Auf dem glitschigen Eisbelag einer Asphalt- straße in der Innenstadt, in einer Kurve, läuft eine alte Frau direkt auf mein Rad zu. Um sie nicht umzufahren, reiße ich mein Rad herum, es kippt, ich liege darunter und ganz zuunterst mein rechter Fuß. Folge laut Arzt: Prüfungen unmöglich. Aber mein Bruder erreicht auf der Präfektur: Zwar alle (mündlichen) Prüfungen solo, aber doch noch vor Weihnachten möglich. So wurde ich denn in Gala (langes dunkles Seidenkleid laut Vorschrift) auf den starken Armen meines Vaters oder durch Kommilitonen per ,Henkeltöpfchen‘ treppauf treppab getragen in die jeweiligen Prüfungszimmer.“ Im Jahr 1933 fasste sie den Entschluss, in eine Organisation einzutreten, die dem Größenwahn, dem Rassenhass, der Zwangsherrschaft des Nationalsozialismus entgegen zu wirken bereit war.  Sie  verschrieb sich der Bekennenden Kirche (BK). Diese Vereinigung wurde ihr zur politischen, aber besonders auch zur geistlichen Heimat und zum geistlichen Hafen in den kommenden zwölf Jahren.

Weil sie sehr gut durchs Examen gekommen war,  wurde sie an die Übungsschule (Volksschule) des Pädagogischen Instituts der Universität Leipzig als Lehrerin berufen. Das bedeutete: Sie hatte Studenten als Hospitanten, die dann bald zu eigenen Unterrichtsversuchen anzuleiten waren. Der erste Tag des neuen Schuljahres begann mit einer besonderen Story. Der Schulrat inspizierte ihr Klassenzimmer in der ersten großen Pause, indem sie gerade zwei Unterrichtsstunden gehalten hatte.  „Und keiner hatte aufs Klo gemusst – leider? Denn was hatte ich Schreckliches begangen? Ich hatte nicht bemerkt, dass in diesem Klassenzimmer an der Schrankwand der Riesenschlüssel für die Toiletten ausgerechnet über dem Hitlerbild hing. In der nächsten Pause wurde die Lehrerschaft vom Schulrat zusammengerufen, und wegen der eben erwähnten Angelegenheit ließ der Schulrat ein furchtbares Donnerwetter über mich ergehen. Ich war sofort erst mal an die Luft gesetzt – noch am ersten Tag einer eventuell ,ruhmvollen‘ Tätigkeit, die eigentlich noch gar nicht recht begonnen hatte. Die Story mit dem Kloschlüssel überm Hitlerbild wurde unter der Leipziger Lehrerschaft schnell tradiert und belacht. Dann wurde ich erst einmal zitiert zum Hauptschulrat der Stadt Leipzig und dort über alles Mögliche und Unmögliche verhört. Nun war ich ja nicht in der Partei und gehörte auch keiner ihrer gültigen Formationen an. Ja, und warum nicht? Ich antwortete etwa folgendermaßen: Ich ,bin überzeugte Christin und meine freie Zeit, die ich außer dem Schuldienst habe, die gehört der Kirche und nicht der Partei“.

Magdalena Kupfer (rechts) mit ihren Geschwistern Johannes und Johanna, 1924. Foto: Sammlung Magda Kupfer

Magdalena Kupfer (rechts) mit ihren Geschwistern Johannes und Johanna, 1924.
Foto: Sammlung Magda Kupfer

Ohne Arbeit, ohne eine Verdienstmöglichkeit wurde sie schließlich als „Springer“ im Leipziger Bezirk als Lehrerin eingesetzt, denn es kam die Zeit des Zweiten Weltkrieges und viele Lehrer wurden eingezogen. Bald bekam sie Bescheid vom Schulamt, dass sie als Springer in ganz Sachsen eingesetzt würde. In dieser Eigenschaft hat sie bis zum Kriegsende  hindurch gearbeitet, wo gerade irgend eine Stelle auf Zeit frei war.  Ihre 19. und letzte Strafversetzung hat sie in Leukersdorf zwischen Chemnitz und Stollberg abgearbeitet.

Magdalena Kupfer (rechts) im Alter von 17 Jahren. Foto: Sammlung Magda Kupfer

Magdalena Kupfer (rechts) im Alter von 17 Jahren.
Foto: Sammlung Magda Kupfer

Wegen fehlender Lehrkräfte fielen einige Unterrichtsfächer aus, darunter auch der Religionsunterricht für die Klassen 1 – 6. Die Mitglieder der BK baten M. K. im Dienst- und Nachbarort von Leukersdorf, ihren Kindern Glaubensunterweisung in verschiedenen Wohnungen zu geben. Sie wurde angezeigt! Darüber berichtet sie: „…richtete mir der Direktor der dortigen Schule aus: Laut Anruf hätte ich heute um die und die Zeit in Chemnitz auf dem Kaßberg Zimmer X zu erscheinen. Kaßberg, das war damals die Zwingburg der Geheimen Staatspolizei, ein abgegrenzter Bezirk. Also war ich dort angezeigt worden. Ich klingle – das Tor öffnet sich lautlos. Menschenleerer großer Hof, nur ein Wegweiser mit Schildern. Ich sehe sehr wohl die dick vergitterten Kellerfenster der diesen Hof umgrenzenden Gebäude. Ich lande schließlich im Zimmer X und habe die verteufelte schwarze Uniform der Gestapo mir gegenüber. Anschnauzer: ,Illegaler Religionsunterricht!’ Scharfes Verhör etwa eine Stunde lang. Dann wird das Urteil mir vorgelesen: Illegaler sowie legaler Religionsunterricht werden mir verboten. Ich erbitte eine Abschrift. Die Bitte wird nicht genehmigt. Ich lasse das Papier mir in die Hand geben und werde kurz danach gefragt, warum ich diese Bitte geäußert hätte. Meine Antwort: ,Ich habe es auswendig gelernt.‘ (Ich hatte damals ein sehr gutes Gedächtnis.) Mein Gegenüber gerät in Wut und donnert mir eine scharfe Drohung entgegen: So wie heute käme ich hier nie wieder heraus!“

Roland Lorenz

Fortsetzung folgt

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