Die Striesener Versöhnungskirche war eine Nische – Rezension
In der untergehenden DDR – die Agonie dauerte leider einige Jahre – traf man unter Friedhofsarbeitern und Hausmeistern immer wieder Menschen an, die zuvor einem „ordentlichen“ Beruf nachgegangen waren. An der evangelischen Versöhnungskirche in Dresden-Striesen konnte man in den 70er und 80er Jahren dem Maler und Grafiker Werner Karsch (Jg. 1950), der einen Ausreiseantrag gestellt hatte, als Hausmeister begegnen. Zu dessen Dienstherren gehörte damals der Gemeindepfarrer Dr. Christoph Münchow (Jg. 1946).
Das Zusammentreffen Beider war, abgesehen von ihren dienstlichen Aufgaben, offenbar ein Glücksfall, zumindest ein Denkanstoß. Während Karsch den unmittelbaren Zugang zur bildenden Kunst hatte (als Ausübender und im Kontakt mit vielen Künstlerfreunden), konnte Münchow diese Kunst in den umfassend und grenzüberschreitend verstandenen „Verkündigungsdienst“ stellen. Daraus erwuchsen zwischen 1979 und 1988 bemerkenswerte „Kunstaktionen in der Dresdner Versöhnungskirche“, die jetzt in dem 128-seitigen Buch „Kunst verändert“ dokumentiert sind (Sandstein Verlag, 2015, ISBN 978-3-95498-157-1, 18 Euro).
Die Striesener Versöhnungskirche war im genannten Zeitraum zu einem „über die Kirchgemeindegrenzen hinausgehenden Mittelpunkt künstlerischer und politischer Öffentlichkeit geworden. Ausstellungen, Lesungen, Auktionen, literarische Vorträge und Seminare verknüpften caritative Hilfe und Gesellschaftskritik. Die Verbindung von Künstlern, politisch aktiven Bürgern und Kirchgemeinde wirkte sich auf das gesamte Land, bis nach Polen und Rumänien und schließlich auch auf die friedliche Revolution 1989 aus“. In diesem nicht alltäglichen Kapitel der Kunst- und Gesellschaftsgeschichte – inbegriffen ist die regionale Kirchgemeindehistorie – tauchen auch mindestens 25 Künstlernamen auf, die einen Bezug zum Elbhang und dessen Umfeld haben (von Hartmut Bonk über Helge Leiberg bis zu Kristine Wischniowski).
Zu den Kunstaktionen gehörten eine von 250 Künstlern beschickte Grafikauktion (Erlös 40.000 Mark), ein Autographen-Basar (Erlös 6.400 Mark) und fünf groß angelegte Ausstellungen (die letzte war 1988 höchst brisant dem „Fernen nahen Nachbarn Rumänien“ gewidmet, eine Gedenktafel an der Kirchenmauer erinnert daran). Zu den Begleitprogrammen gehörten unzensierte Eröffnungsansprachen (u. a. von Diether Schmidt, Andreas Horn, Klaus Stiebert, Christoph Tannert), Lesungen (u. a. mit Franz Fühmann, Stephan Hermlin, Lutz Rathenow) und unkonventionelle Konzerte.
Die finanziellen Erlöse und ansehnlichen Kollekten kamen sächsischen diakonischen Einrichtungen und zwei Krankenhäusern in Siebenbürgen zu Gute. Im weitesten Sinn des Wortes waren die Kunstaktionen inhaltlich und künstlerisch grenzüberschreitend. Der beteiligte Schriftsteller Richard Pietraß spricht sogar von „magischen Momenten“, die natürlich auch den stets anwesenden Beobachtern der DDR-Staatssicherheit nicht verborgen blieben, ihnen aber wohl keine „Maßnahmen“ ermöglichten.
Die Lektüre von „Kunst verändert“ ist spannend, teilweise aufregend, letztlich aber auch allgemeinbildend, wenn man verstehen will, „was in der DDR und in der Kirche eigentlich los war“ – und das mitten unter uns. Den herausgebenden Autoren Christoph Münchow und Werner Karsch ist zu danken, dass sie gemeinsam mit den Ko-Autoren, mehreren Fotografen und zahlreichen Künstlern der Nachwelt ein Stück Dresdner „Vorwende-Geschichte“ bewahrt haben.