Gedenkblatt (Langfassung) Immanuel Lucchesi

Der Herr mit der goldenen Flöte aus Blasewitz – zum 100. Geburtstag des Kammermusikers Immanuel Lucchesi – * 28.12.1917 † 2.1.1998

Immanuel Lucchesi, um 1960, Foto: privat

Der Klang der goldenen Flöte meines Schwiegervaters war bei Kammerkonzerten überall in der DDR eine Besonderheit. In hohem Alter, als er sie noch spielte, verfügte er, dass sie nach seinem Ableben – wenn nicht in der Familie professionell genutzt – so doch einem guten Flötisten zukommen sollte. Aber das geliebte Instrument aus Markneukirchen geriet aus dem Sichtfeld. Bis es vor einiger Zeit von der ehemals Dresdner Sopranistin Renate Frank-Reinecke bei einem Kirchenkonzert wiederentdeckt wurde. Elke Lange, die Soloflötistin der Staatskapelle Halle spielte darauf und bejahte die Frage, dass es nunmehr ihr Instrument sei und sie es sehr schätze.

Die Sängerin Renate Frank-Reinecke wie auch der ehemalige 1. Konzertmeister der Dresdner Staatskapelle Prof. Reinhard Ulbricht haben schöne Erinnerungen an meinen Schwiegervater: „Wir wurden Freunde“, schrieb Reinhard Ulbricht jetzt für die Erinnerungsschrift zum 100. Geburtstag, „ als Immanuel Lucchesi in die Staatskapelle kam. Seine freundliche, ruhige, besonnene Haltung als ein Musiker der besonderen Güte, seine Hilfsbereitschaft und Zugewandtheit berührten mich spontan. Das machte uns auch zu langjährigen Kammermusik-Partnern. Die Gründung des „Dresdner Kammerorchesters“ und des „Dresdner Flötenquartetts“ vollzogen wir gemeinsam.“

Und Renate Frank-Reinecke bemerkte: „Wir hatten nicht nur gemeinsame Vorstellungen in der Dresdner Oper, sondern haben auch zusammen viel Kammermusik gemacht. Er hatte einen ganz besonderen Flötenton, der sich von den anderen total unterschied. Ich wusste schon, bevor ich ins Orchester schauen konnte, dass Immo bläst und das hat sich immer bewahrheitet!“

Die Nichte von Immanuel Lucchesi und Tochter des Dresdner Schriftstellers Martin Raschke, die Grafikerin Sophia Raschke, verweist in besagter Schrift zudem auf ein Novum im eher traditionell ausgerichteten Dresdner Konzertleben der 1950er Jahre: „Ein sehr schönes Erlebnis meiner Jugend war die Kammerkonzertreihe „Wege zur Neuen Musik“ mit Kompositionen aus europäischen Ländern in der Aula der Oberschule Ost.“

Dort in der Andersen-Nexö-Oberschule, erinnere ich mich wiederum, musizierte er auch mit dem Dirigenten, Pianisten und Kurt-Weill-Verehrer Gerhard Lenssen. Für die Konzerte baten sie die Zuhörer jeweils ein Brikett mitzubringen, damit der Saal beheizt werden konnte! Harte Zeiten.
Im Nachkriegsjahr 1946 war Immanuel Lucchesi ein Jahr am Stadttheater Meißen, anschließend im Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig, wo er auch beim MDR als Redakteur und Produzent wirkte. 1950 wurde er als Flötist an die Dresdner Philharmonie berufen, wenige Jahre später erfolgte dann der Wechsel zur Dresdner Staatskapelle. 1964 schließlich holte ihn Kurt Masur, vorher selbst auch in Dresden, als Soloflötist ins Orchester der Komischen Oper Berlin. „Sein Weggang aus Dresden“, so Reinhard Ulbricht, „machte uns alle sehr traurig, doch wir blieben in enger Verbindung.

Aber Immo, so nannten ihn Kollegen und Freunde, war mit Konzerten seiner Heimatstadt Dresden treugeblieben, im Gobelinsaal der Alten Meister, in Schloss Moritzburg mit der Prager Ausnahmecembalistin Zuzana Růžičková, im berühmten Gemeindehaus Strehlen und in Kirchen, wo es auch um die Unterstützung in der DDR diskriminierter Künstler ging.
Das Lucchesi-Haus in der Blasewitzer Lene-Glatzer-Str.26, so Reinhard Ulbricht, war „stets ein offenes Haus, hoch kultiviert.“ Ein Beispiel: der Besuch des Pariser Komponisten André Jolivet anlässlich der Uraufführung eines Flötenwerkes. Viele Musikerfreunde, ob aus Estland, der damaligen CSSR oder Polen folgten.

Größerer internationaler Radius außerhalb der sozialistischen Länder blieb Immanuel Lucchesi, der aus seiner politischen Überzeugung keinen Hehl machte, wegen der politischen Umstände verwehrt. Im DDR- Kulturministerium erhielt er einmal als Begründung für die Ablehnung eines Konzertangebotes aus London die Antwort: “Die Flöte ist kein repräsentatives Instrument!“. Ein bitterer Bescheid.
Am 28. Dezember findet nun in der Kirche „Zur Frohen Botschaft“ in Berlin-Karlshorst, seinem letzten Wohnort, ein Konzert zur Erinnerung an Immanuel Lucchesi statt. Mit seinen Schülern, Kollegen, seiner Enkelin Alexandra Lachmann, die Sopranistin wurde und Freunden. Es erklingt die älteste Orgel Berlins, die Amalienorgel, die früher von seinem Freund Roland Münch gespielt wurde und den er oft in gefühlt unzähligen Gottesdiensten und Konzerten begleitete.

Die goldene Flöte ist auch diesmal dabei. Elke Lange will spielen. Immanuel Lucchesis Flötenschule wird bei Breitkopf & Härtel in Leipzig bis heute verlegt. Das Deutsche Rundfunkarchiv in Babelsberg verfügt über viele Aufnahmen, die man ab und an bei den Kulturkanälen von MDR und rbb hören kann. Ein schönes Vermächtnis an die jüngere Generation.

Michael Lachmann

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