Das Blaue Wunder: Überlebenskunst einer Brücke

Beitrag zum 125-jährigen Jubiläum des Blauen Wunders im Festgottesdienst am 15. Juli 2018 in der Heilig-Geist-Kirche mit Eröffnung der Ausstellung von Franz Zadniček: „Das Blaue Wunder.“

Liebe Loschwitzer, liebe Blasewitzer, liebe Freunde des Blauen Wunders, das Blaue Wunder hat heute Geburtstag. Wir eröffnen hier in der Kirche eine Ausstellung mit Fotografien, die berührende Ansichten von der Brücke zeigen aus der Zeit von 1982 bis 2006. Am Eingang ungewohnte Bilder von 1991: Das Blaue Wunder autofrei. Die Brücke wird zum Spazierweg und zur Spielstraße für Kinder, die auf dem Fahrrad ihre Runden drehen. Pferde schreiten geruhsam über die Brücke. Die Reiterinnen genießen den Ausblick.

Eine „Lebensbrücke“ hat Matz Griebel das Blaue Wunder genannt. Ja, das ist sie wirklich, auch wenn täglich 28.400 Kraftfahrzeuge über die Brücke donnern. Es gibt dazu ein Gegengewicht: eine stattliche Zahl von Menschen, die sich jeden Tag ohne Benzin über die Brücke bewegen: 2.754 Radfahrer und 13.166 Fußgänger täglich (das sind die Zahlen von 2016).

Die Brücke ist alt geworden. Ihr werden trotzdem immer größere Lasten aufgebürdet. Sie wird gebraucht und soll erhalten werden. 45 Millionen sind in den Sanierungsplan eingestellt.

Immer wieder kommt die Frage auf, wie lange es die Brücke denn noch macht: 20, 30 oder 40 Jahre? Ich frage einen Brückenexperten der Landeshauptstadt, der es wissen muss. Er sagt: Wenn die schweren Fahrzeuge Fahrverbot bekommen, könnte die Brücke ewig leben. „Ewig!“. Das ist doch ein Wort! (Nicht nur in der Kirche.)

Das Blaue Wunder hat Überlebenskunst bewiesen. Immer wieder war die Brücke in ihrer Existenz bedroht. Am 13. und 14. Februar 1945 von Bomben beschädigt. Danach zur Sprengung vorbereitet durch die SS. Mutige Dresdner durchschnitten damals die Kabel. Die Brücke hat überlebt.

Und sie überlebte, als 1967 im Generalbebauungsplan für Blasewitz und Loschwitz festgelegt wurde, die Brücke abzureißen und wenige Meter elbaufwärts eine neue Brücke zu bauen. Von der Friedrich-Wieck-Straße wäre dann kein Haus mehr stehen geblieben. Die Reste der historischen Dorfkerne von Loschwitz und Blasewitz wären verschwunden. Vom Blauen Wunder sollte auf der Blasewitzer Seite nur noch der Brückenturm stehen bleiben: als Aussichtsturm. Das war der Plan.

Ausstellung „Das Blaue Wunder“ von Franz Zadniček
Foto: Stefan Behr

Zum Glück war die DDR wirtschaftlich zu schwach, das auszuführen. Das Blaue Wunder überlebte erneut. So hat es die Brücke bis heute geschafft. Sie wird auch in der Zukunft überleben, wenn wir das wollen.

Die Brücke hat viele Freunde. Ein Beweis war der 100. Geburtstag der Brücke. In Massen strömten die Dresdner über die Brücke und nahmen sie ganz für sich ein. Wieder war das Blaue Wunder autofrei.
Franz Zadniček hat diesen Moment mit der Kamera festgehalten. Ein anderes Bild zeigt Bläser der Versöhnungskirche, die auf der Brücke stehen und dem Blauen Wunder ein Ständchen blasen. Musik auf der Brücke − auch das ist möglich!

Die Kunst, zu überleben, braucht die Kunst. Das Blaue Wunder war schon immer ein beliebtes Motiv für Künstler. Künstler dürfen sich getrauen, Visionen zu formulieren. Ein berühmter Dresdner Künstler („Ilse Bähnert“) hat im Vorwort zu einem Bildband über das Blaue Wunder auf die Frage geantwortet: „Was wird aus dem Blauen Wunder?“

„Hier meine Vision. Die Brücke der Zukunft ist autofrei, Fahrradfahren und Flanieren erwünscht, die größte Kneipenbrücke der Welt. 200 Meter Tische, Stühle, Bänke und Sessel aus Rattan und Eisen, Loom oder Ikea, Beau oder Beluga, alles auf engstem Raum und von allen Seiten einsehbar. Blicke ins Elbsandsteingebirge, sinnliche Freuden jeder Art, Menschen aus aller Herrn Länder sitzen, staunen, genießen, philosophieren und werden eins mit dem Blauen Wunder.“ (Tom Pauls).

Auch wenn nicht alle Visionen von Künstlern realistisch sind, die Kunst darf das: Visionen formulieren als einen Anstoß für das Nachdenken, dass wir in unserem Leben nicht vergessen, was schön ist: Das Genießen und das Philosophieren. Und auch diese Brücke: das Blaues Wunder.

Sie ist mehr als nur ein Koloss von 3800 Tonnen Stahl. Sie hat eine eigene Ästhetik, um nicht zu sagen: Schönheit. Die Brücke muss erhalten bleiben schon aufgrund ihrer Farbe. Was Blau ist, hat Wassily Kandinsky einmal so beschrieben:

„Die Neigung des Blau zur Vertiefung ist so groß, dass es gerade in tieferen Tönen intensiver wird und charakteristischer innerlich wirkt. Je tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem. Es ist die Farbe des Himmels, so wie wir ihn uns vorstellen bei dem Klang des Wortes Himmel.“ (Wassily Kandinsky)

Das Blaue Wunder − eine Brücke mit der Farbe des Himmels, und doch ein Bauwerk mit einem irdischen Zweck: dem Menschen zu dienen, − und um in der Sprache der Bibel zu reden: dem Nächsten. Genau so sagt es der Elbetaler mit seiner Inschrift: Das Blaue Wunder − „Ein Bau zu Nutz und Frommen des Nächsten.“

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