Elbhang-Gedankenspiele um den künftigen Ferdinandplatz

Erinnerung an den »Gänsedieb-Brunnen« mit »wettinischen Geschichten«

Blick auf den Haupteingang und das Foyer des Neuen Verwaltungszentrums am Ferdinandplatz. Links sieht der Architektenentwurf eine Brunnenanlage vor.
Foto: Visualisierung Wettbewerbsergebnisse / Stadtplanungsamt Dresden-Neustadt

Immerhin: 5875 kritische Dresdner – bescheidene ein Prozent der Bürger einer avisierten europäischen Kulturhauptstadt – beteiligten sich im Dezember 2020 an der vom Stadtplanungsamt organisierten Online-Befragung zur Gestaltung des neuen Dresdner Verwaltungszentrums am Ferdinandplatz. Und 278 dieser Mitbürger waren älter als 65 Jahre. Wer von diesen „mitdenkenden Senioren“ wird noch den ursprünglichen Ferdinandplatz – östlich der Prager Straße gelegen – vor Augen gehabt haben? Am 13. Februar 1945 blieb dort außer zerstörten Bürgerhäusern nur der 1879/80 vom Loschwitzer Bildhauer Robert Diez (1844 – 1922) geschaffene „Gänsediebbrunnen“ nahezu unversehrt erhalten – an seinem Nachkriegsstandort an der Weißen Gasse unweit des Neuen Rathauses ist er noch heute zu bewundern.

Der Gänsediebbrunnen stand bis 1945 auf dem (alten) Ferdinandplatz, hier (re.) vor dem Bürgerhaus Viktoriastraße 15, in dem der namhafte Dresdner Musikkritiker Ludwig Hartmann zeitweise wohnte.
Foto: Gedenkschrift für Ludwig Hartmann, 2010

Am Ferdinandplatz soll wieder ein Brunnen entstehen

Am jetzigen Ferdinandplatz, auf dem sich ehemals Viktoria- und Ferdinandstraße kreuzten und zugleich in östliche Richtung die Walpurgisstraße begann (heute noch als Haltestellenname an der St. Petersburger Straße wahrnehmbar), erinnert nichts mehr an die hier einst pulsierende Altstadt nahe der legendären Prager Straße. Freilich, das Stadtplanungsamt veranlasste hier archäologische Grabungen, die Erstaunliches zutage förderten (von Ernst Hirsch dokumentiert) und den hier künftig tätigen 1300 städtischen Mitarbeitern – und den ungezählten Besuchern des neuen Verwaltungszentrums – ein bisschen Historie vermitteln sollen. Aber der originale Gänsediebbrunnen an diesem Ort wäre ein in vieler Hinsicht einzigartiges Denkmal (im ansonsten vielfach nicht mehr wiederzuerkennenden Stadtbild).

Diesbezüglich haben die heutigen Planer immerhin eine moderne Brunnenanlage ins Auge gefasst. Neben einer solchen »großen (Gänsedieb-?)Lösung« könnte es im Foyer des künftigen Verwaltungszentrums vielleicht auch eine ortsbezogene »kleine Brunnen-Lösung« geben, wenn man dort einen in Dresden vorhandenen kleinformatigen Abguss der bronzenen (aufpolierten) Gänsediebfigur aufstellen würde (eine solche befindet sich – seit den 60er Jahren aus dem Diez-Nachlass in städtischer Obhut – auf dem Gelände der Striesener Feuerwache an der Schlüterstraße). Ein dieserart demonstriertes Robert-Diez-Gedenken (mit städtebaulichem Hintergrund) dürfte auch den traditionsbewussten Loschwitzer Mitbürgern gefallen – immerhin ließen sie sich (mit Robert Diez) vor 100 Jahren (1921) in die sächsische Landeshauptstadt »einbürgern«.

Gleichfalls dürfte hier der vormalige Blasewitz-Neugrunaer Mitbürger Ludwig Hartmann (1836 – 1910 / Pianist, Komponist, Musik- und Kunstschriftsteller, siehe ELBHANG KURIER Februar 2011) zustimmen; von seiner vornehmen Stadtwohnung an der Viktoriastraße 15 konnte er Ende des 19. Jahrhunderts täglich den Gänsediebbrunnen am Ferdinandplatz genießen.

Erzgroßherzog Ludwig IV. von Toskana-Österreich (1835 – 1908); als der Ferdinandplatz nach ihm benannt wurde, sah er wohl etwas jünger aus.
Foto: Wikimedia

Wer war Ferdinand – und Tochter Luise?

Mit diesem Gedankenspiel nähern wir uns weiteren Blasewitz-Loschwitz-Wachwitz-Pillnitzer Ferdinandplatz-Überlegungen mit wettinisch-toskanischem Hintergrund. Die Benennung des Platzes (seit 1856) bezieht sich auf den Erzgroßherzog Ferdinand IV. von Toskana-Österreich (1835 – 1908), der im besagten Jahr die sächsische Prinzessin Anna Maria (1836 – 1859) in Dresden heiratete und auf diese Weise (wenn auch nur kurzzeitig) Schwiegersohn des sächsischen Königs Johann (1803 – 1873 / Philaletes) war.

Aus einer zweiten Ehe Ferdinands IV. (für den ELBHANG KURIER von unserem Leser Uli Rauh/Weißer Hirsch recherchiert) ging als älteste Tochter eine Prinzessin Luise von Österreich-Toskana (1870 – 1947) hervor, die 1891 in Wien den späteren (und letzten) König von Sachsen, Friedrich August III. (1865 – 1932 – am 18. Februar d. J. ist sein 89. Todestag) heiratete und damit die noch heute vielgenannte sächsische Kronprinzessin wurde – und u. a. in den bekannten Etablissements »Café Toscana« und »Luisenhof« fortlebt.

Auch diese erneute wettinisch-toskanische Annäherung, der sieben Kinder entsprangen, endete bekanntlich problematisch. An dieser Stelle darf deshalb – sinngemäß – der Historiker Professor Ingo Zimmermann (Blasewitz) zitiert werden: »… Wenig Glück hatten die Wettiner mit ihren machtpolitischen Entscheidungen, sodaß sie (zwar) als eines der friedlichsten deutschen Fürstengeschlechter in die Geschichte eingingen, von ihrem Herrschaftsbereich aber nur geringe politische Gestaltungskraft ausstrahlte …«

Leider scheiterte die eher südländisch motivierte Kronprinzessin Luise (sie war auch eine späte Nachfahrin von August dem Starken und Ludwig XIV.) auch am überholten sächsischen Hofzeremoniell; dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) blieb die Benennung »Ferdinandplatz« bis heute erhalten – wohl auch als Denkanstoß.

War der „Gänsedieb“ ein Kruzianer?

Diese historischen Abschweifungen sind nicht einer sächsisch-dynastischen Aufarbeitung geschuldet. Allenfalls können sie der Einordnung des künftig oft zu nennenden Ferdinandplatzes in die Sachsen- und Dresdengeschichte dienen.

Abschließend sei noch eine kulinarische Kreuzschüler-Episode erwähnt: Der legendär-historisch belegte »Gänsedieb« soll ein vormaliger Schüler der dem heutigen Ferdinandplatz nahegelegenen Kreuzschule gewesen sein. Auf einer späteren Wanderschaft wollte er in Dresden seinen früheren Schulmeister treffen und sich zum Gänseschmaus mit ihm verabreden.

Dabei lief ihm wohl auf den damaligen städtischen Wiesen eine Gans über den Weg … . Vielleicht sollte »in memoriam« in der heutigen Striesener Kreuzgymnasiums-Mensa einmal im Jahr ein Gänsebraten auf dem Tisch stehen – und die Kruzianer würden sich dafür am wiedererstandenen Gänsediebbrunnen (wo auch immer) mit einem Ständchen bedanken. »Cantus culinaris« könnte man diesen Auftritt benennen.

Getagged mit: , , , ,
Veröffentlicht unter Der Elbhang-Kurier, Zusätzliche Artikel online