An der Blasewitzer Goetheallee 26 gibt es seit dem 5. Juni eine Gedenktafel, die an eine dort bis 1979 existierende Villa »Fliederhof« erinnert. Anlässlich der feierlichen Enthüllung wurde auch das Grußwort eines ursprünglichen Mitbesitzers und Bewohners (Michael Schuncke) verlesen:
Grußwort zur Enthüllung der neuen Gedenktafel am »Fliederhof«-Grundstück Goetheallee 26 (früher Emser Allee) in Dresden-Blasewitz
am 5. Juni 2021
Fast 600 Kilometer bin ich von Ihnen entfernt, in Baden-Baden, meiner zweiten Heimat, und darf doch durch dieses Grußwort unter Ihnen sein – hier in Dresden-Blasewitz, meiner Urheimat.
Und wer jetzt hierher gekommen ist, erfühlt vielleicht, dass sich außer meinem verschwundenen großelterlichen Haus »Fliederhof« gar nicht so viel verändert hat.
Dieser fast heilige Ort, den ich ganz persönlich verbinde mit der Musik Rachmaninoffs und der meiner eigenen Musik-Ahnen – und mit einer Stille zum Hineinhören und auch dem Gesang der Amseln.
Muss hier ein Kind nicht glücklich aufwachsen? I c h bin es, und selbst alles spätere Unheil kann meinen kostbaren Erinnerungs-Schatz nicht löschen – wie etwa Rachmaninoffs Frau Natalja hier mit mir Ball spielte. Erst später wurde mir klar, wer mir da die Bälle zuwarf.
Als Kind ging ich gern durch ein kleines Tor im hinteren Teil des Gartens in den Waldpark zum Spielen.
Meine Mutter erzählte mir, wie sie lange vor meiner Geburt immer wieder dem Klavierspiel Rachmaninoffs auf unserem Familienflügel lauschte. Oder wie hier im Sommer 1924 im Garten die aufwendige Hochzeit der Rachmaninoff-Tochter Irina mit dem Fürsten Wolkonski gefeiert wurde.
Den aufreibenden Kampf meiner betagten, aber unbeugsamen Großmutter Wilhelmine für die jüdische Familie Hepner, die bis nach Kriegsende im »Fliederhof« lebte, habe ich selbst noch erlebt.
Zu den bitteren Erinnerungen gehört auch unsere spätere Enteignung 1972 und die grausame Feuernacht, die 1979 unseren „Fliederhof“ vernichtete.
Doch vieles Schöne bleibt im Gedächtnis – bis heute. Und das nicht zuletzt deshalb, weil die Erinnerung gerade von musischen Menschen der jeweiligen Zeit vielfach festgehalten und weitergegeben wurde.
So sind wir hier auch zusammengekommen, um zu danken:
Vor allem, und stellvertretend für alle, den zwei großherzigen Menschen, die heute wesentlich fürs Weitertragen dieser Historie in die Zukunft sorgen: Frau Marita Schieferdecker-Adolph (jetzt in Loschwitz zu Hause) und Herr Wolfgang Schälike mit seinem so rührigen »Deutsch-Russischen Kulturinstitut« als Stifter der eindrucksvollen neuen Gedenktafel für Sergej Rachmaninoff und unseren »Fliederhof« – und einer dazu passenden Kammermusikreihe, die schon heute Abend beginnt.
Ich freue mich, dass der »Fliederhof« besonders in den letzten Jahren eine Renaissance
in Zeitschriften und Zeitungen erleben durfte, obwohl das Haus seit Jahrzehnten verschwunden ist.
Wer kann darüber glücklicher und dankbarer sein, als der mit nunmehr 92 Lebensjahren immer noch lebende Enkel und teilweise Zeitzeuge meiner Großeltern Wilhelmine und Wilhelm Schuncke und meine Nachkommen!
Und in Dankbarkeit sind auch nicht zu vergessen die Forscher und Autoren, die manches helfend eruierten, und auch Sie, die heutigen Besucher, die diesem Ort ihre Reverenz erweisen.
Ich danke Ihnen allen von Herzen – auch im Namen meiner Familie.
Ihr Michael Schuncke
Baden-Baden, am 5. Juni 2021