Der »rote Elvis« im Pionierpalast

Zu DDR-Zeiten waren prominente Schauspieler und Regisseure beim Filmklub im Schloss Albrechtsberg zu Gast

Dean Reed, genannt der »rote Elvis«, Gojko Mitić, Rolf Hoppe und »Professor Flimmrich« alias Walter E. Fuß – sie alle waren in den 1970ern und -80ern zu Gast auf Schloss Albrechtsberg, das zu dieser Zeit noch Pionierpalast hieß. Und sie feierten dort nicht etwa rauschende Feste, wie man vermuten könnte, sondern waren umringt von Kindern und Jugendlichen aus dem damaligen Filmklub, die sie ins Kreuzverhör nahmen. Zum Beispiel Dean Reed: »Ich habe ihn 1974 als einen liebenswerten Menschen ohne Starallüren erlebt«, erinnert sich Siegfried Thiele, der den Filmklub von 1973 bis 1990 leitete. Gut gelaunt und witzig sei der US-amerikanische Musiker und Schauspieler gewesen, spontan, voller Elan und ehrlich interessiert am Gespräch.

Siegfried Thiele vor seiner ehemaligen Wirkungsstätte. Der Dresdner Pädagoge leitete den Filmklub im damaligen Pionierpalast von 1973 bis 1990.
Foto: Katrin Richte


Der Filmklub selbst, muss man wissen, gehörte zu den über 150 Freizeitangeboten, die Schülerinnen und Schülern zu DDR-Zeiten im Schloss Albrechtsberg gemacht wurden. Das einstige Schloss des Hohenzollernprinzen Albrecht diente ab 1951 als Kinderfreizeitzentrum und hatte die Umbenennung in Pionierpalast »Walter Ulbricht« über sich ergehen lassen müssen. Den Ehrennamen des einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden legte es 1972 nach dessen Entmachtung lautlos wieder ab.

Dean Reed tanzte mit Filmfreund Heiko Weiland im Gartensaal zu einem Song, den er immer wieder selbst gern gesungen hat: »Oh, Susanna«.
Foto: Herbert Boswank/Archiv


In die Zeit Anfang der 1970er Jahre fiel auch die Gründung des Filmklubs. Lehrer Thiele leitete diese Arbeitsgemeinschaft (AG) vom Schuljahr 1973 an fast 20 Jahre bis zur Auflösung Ende 1990. Ausgestattet mit dem Filmwissen eines Freizeitrezensenten der Tageszeitung »Sächsische Neueste Nachrichten«, hatte der Pädagoge das Angebot angenommen, von einer Polytechnischen Oberschule in Löbtau an den Elbhang zu wechseln und den Filmklub aufzubauen.

Etwa 60 Mitglieder zählte der Filmklub. Zu ihnen gehörte kurzzeitig Tom Quaas (3. v. l.), Dresdner Schauspieler und Regisseur.
Foto: Filmklub-Archiv

Um die 60 Mädchen und Jungen zwischen sechs und 16 Jahren kamen mehrmals im Monat in den Filmklub – darunter auch Tom Quaas, Dresdner Schauspieler und Regisseur, der als Zwölfjähriger Mitglied war. »Im Pionierpalast hatten wir einen eigenen Klubraum in der Beletage neben dem Spiegelsaal und eine bescheidene Film-Vorführtechnik zur Verfügung, so- dass wir wenigstens 8- und 16-Millimeter-Schmalfilme zeigen konnten«, erzählt der ehemalige Filmklubleiter. Anfangs sei während der Schulferien ein ratternder Normalfilm-Projektor im Spiegelsaal des Schlosses im Einsatz gewesen. Wurden prominente Gäste erwartet, durften auch der benachbarte Prinzensalon – das damalige »Thälmann-Kabinett« – und der Gartensaal im Erdgeschoss genutzt werden.

»Professor Flimmrich« mit Kindern und Jugendlichen 1976 im Klubraum im Pionierpalast. Er stellte den Filmklub 1976 im DDR-Fernsehen vor.
Foto: Filmklub-Archiv

Damit die Mädchen und Jungen Filme auch auf der großen Leinwand anschauen konnten, begab sich Siegfried Thiele auf Partnersuche – und fand ihn im Rundkino an der Prager Straße. Die jungen Filmfreunde durften die »Kleine Bühne« für 26 DDR-Mark pro Veranstaltung nutzen – u.a. für Filmpremieren mit prominenten Gästen. »Gojko Mitić zum Beispiel beantwortete geduldig, souverän und immer mit indianischer Zurückhaltung die neugierigsten Fragen«, entsinnt sich Thiele. Als sich ein Mädchen recht hartnäckig an die Fersen seines Idols heftete, habe er lächelnd versucht, sie mit dem Hinweis: »Squaw, bin schon vergeben« wieder loszuwerden. Vergeblich. Auch Hans-Joachim Wolfram, Moderator der DDR-Fernsehsendung »Außenseiter – Spitzenreiter«, Chansonsängerin Dorit Gäbler und Schauspieler Rolf Hoppe schauten im Pionierpalast vorbei. »Hoppe war ein Pferdenarr. Von ihm wollten die Kinder wissen, ob schon mal ein Pferd mit ihm durchgegangen ist«, berichtet der frühere Filmklubleiter. Daraufhin sei Hoppe nicht mehr zu halten gewesen und habe ein mimisches Feuerwerk an diesem Novembertag des Jahres 1975 abgebrannt – abwechselnd als Pferd und als Reiter.

Filmvorführung im Rundkino: Siegfried Thiele, Schauspieler Colea Rautu, Rolf Hoppe und Gojko Mitić (v. l.) diskutierten 1974 mit Filmklubmitgliedern über den DEFA-Indianerfilm »Ulzana«.
Foto: Herbert Boswank/Archiv


Auch Regisseure wie Rolf Losansky (»Moritz in der Litfasssäule«, 1983) und Gunter Friedrich (»Unternehmen Geigenkasten«, 1985) kamen mit ihren neuesten Streifen zum Filmgespräch an den Elbhang. Hin und wieder gelang es zudem, Künstler aus dem Gorbitzer DEFA-Studio für Trickfilme einzuladen, dem größten Animationsfilmstudio der DDR. Dabei u.a. Günter Rätz mit seinem Puppentrickfilm »Die fliegende Windmühle« von 1982. Und das russische Zeichentrick-Genie Fjodor Chitruk zeigte den Dresdner Filmfreunden seinen 1974 in Cannes mit der Goldenen Palme geehrten Kurzfilm »Insel«.
Die jungen Filmfreunde blieben nicht unter sich, sondern boten Besuchern vor allem während der Ferienzeit kurzweilige Veranstaltungen im Klubraum an – darunter »Alles Schwindel? Über Filmtricks und Trickfilme«, nutzten dafür Original-Trickfilmfolien aus dem DEFA-Trickfilmstudio, bastelten, rätselten und zauberten. Nicht zu vergessen das Kinderfilmfestival »Goldener Spatz« in Gera, das es bis heute gibt: Auch dort war der Dresdner Filmklub mit dabei und Siegfried Thiele selbst Mentor der Kinderjury.

Im Schuljahr 1990/91 zählte der Pionierpalast immerhin 156 Arbeitsgemeinschaften mit 1954 Mitgliedern. Das Jugendstreichorchester und das Schülertheater, der Chor und die Tanzgruppe gehörten dazu. Zu den traditio­nellen Malern, Keramikern, Rezitatoren und Schreibenden Schülern gesellten sich Kabarettisten, Puppenspieler, Fotografen und Filmemacher. Die AGs inklusive Personal unterstanden dem städtischen Schulamt. Mit dem Fall der Mauer kam das Aus für die meisten AGs des Pionierpalasts. Auch ein Filmklub in Luxusausführung war nicht mehr bezahlbar. Siegfried Thiele wechselte noch für kurze Zeit ins Schulamt und trat dann in den Vorruhestand. Die wilden Umbruchzeiten überlebt hat ein Fragment der Kulturabteilung des Pionierpalasts unter dem Namen »Jugendkunstschule«. Ansonsten wird im zunehmend sanierten Schloss, das im Besitz der Stadt ist, musiziert und gefeiert in höchsten Tönen und Kreisen.
Auch interessant: 1985 waren 421 Filmklubs in der DDR registriert, mehr als die Hälfte wurden von Schülerinnen und Schülern genutzt. In der alten Bundesrepublik hingegen gab es keine Filmklubbewegung wie in der DDR.

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