Steile Thesen – in der Reihe »Politisches Nachtgebet« der ev. Kirchgemeinde Weißer Hirsch sprach Dr. Gerd Lippold aus dem Umweltministerium zum Thema »Wie wird Sachsen klimaneutral?«
Einmal im Monat gibt es in der evangelischen Kirche Weißer Hirsch das »Politische Nachtgebet«, ins Leben gerufen und organisiert vom früheren Dresdner Umweltbürgermeister Klaus Gaber. Im Januar hatte er Dr. Gerd Lippold eingeladen, Staatssekretär im sächsischen Ministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft.
Lippold ist promovierte Physiker, hat lange Jahre in der Wirtschaft gearbeitet, saß dann für Bündnis 90/Grüne im Landtag, bis er ins Ministerium wechselte. Und er konfrontierte die Besucher in der Kirche mit steilen Thesen: »Sachsen war jahrelang ein klimapolitischer ,Schurkenstaat’ in der Bundesrepublik«, sagte er in seinem Vortrag zu der Frage: »Wie wird Sachsen klimaneutral?«. Trotz des Zusammenbruchs der Wirtschaft nach der Wende habe der CO2-Ausstoß in Sachsen 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt gelegen. Aus naheliegenden Gründen habe man sich so lange wie möglich gegen das Ende des Braunkohleabbaus gestemmt – anders als etwa Sachsen-Anhalt und Brandenburg, die frühzeitig auch auf alternative Energien – Solar, Wind – gesetzt hätten.
Das Ministerium, in dem Lippold nun arbeitet, gibt es in dieser Kombination erst seit dem Koalitionsvertrag nach der Landtagswahl 2019. »Das war ein Paradigmenwechsel«, formulierte Lippold. Es sei ein »zähes Unterfangen«, die klimapolitische Wende durchzusetzen. Die hochentwickelten Industrienationen sind da seiner Meinung nach besonders gefordert. »Wir hier, die wir das Wissen und die Technologie haben, müssen zeigen, dass es geht.« Denn dieselben Staaten hätten das auch verursacht: »Die Atmosphäre bis an ihre Grenze zu belasten.«
Klimapolitik, sagte Lippold, sei eine nationale, eine internationale Großaufgabe. »Ach, wir hier in Sachsen«, sei oft das Argument, »wir retten doch nicht die Welt; und dafür sollen wir unsere Wirtschaft ruinieren?« Das sei zu kurz gesprungen, argumentierte Lippold. Zum einen müsse – eingebunden in ein großes europäisches Versorgungsnetz – »jeder seinen Beitrag leisten, sein Potenzial nutzen«. Zum anderen sei die Energiewende unerlässlich, wenn wir Industriestandort bleiben wollen“. Die Lieferketten müssten CO2-neutral sein, das sei mittlerweile ein ganz großer Standortvorteil.
In der Regierung, auch in der Staatskanzlei sei das allen klar. »Aber vor Ort ist das schwierig, in den Wahlkreisen.« Nehme man zum Beispiel die Windkraft – »die ist als Konfliktpotenzial für interessierte Kräfte ideal, um Druck zu machen, zu verzögern, zu verschleppen«. Da droht dann der nächste Wahltermin. »Aber«, sagte Lippold, »Klimapolitik muss über eine ganze Reihe von Wahlperioden durchgehalten werden. Sonst sind wir verloren.« Das Ziel »Null-CO2-Emission« solle bis 2045 erreicht werden, nur noch gut 20 Jahre ab jetzt. »Wir müssen Gewaltiges vollbringen. Aber das heißt, wir müssen jetzt anfangen, nicht erst 2040.«
Obwohl die Gefahren bekannt seien – weltweit -, habe man zu lange gewartet und sei nicht schnell genug unterwegs. „Die jungen Menschen freitags auf der Straße sind zurecht ungeduldig.“ Aber dieser Druck habe auch zu einem Umdenken in der Politik geführt. Zurzeit werde etwa in allen Bereichen der Landesregierung ein Maßnahmenprotokoll entwickelt – z.B. sollen ab 2023 alle Standorte sauberen Strom haben.
Das ist irgendwann auch eine finanzielle Frage. »Wind und Sonne stellen keine Rechnungen«, sagte Lippold und mahnte »Kostenehrlichkeit« an. »Fossile Energieträger sind endlich. Der CO2-Preis wird weiter steigen. Ressourcen kosten Geld, endliche Ressourcen kosten immer mehr Geld – sie werden teurer, je knapper sie werden. Und Nuklearenergie ist immer teurer geworden.« Länder, die auf Kernkraftwerke setzten, seien überwiegend ohnehin auch politisch-militärisch Nuklearmächte. Zivile Atomenergie sei heute wegen des gigantisch gewachsenen technischen Aufwands, der Sicherheit, der Folgekosten eine der teuersten Energieerzeugungen. »Bei den alternativen Energien ist es umgekehrt.«
Was kann, was muss aber Sachsen tun? Der Freistaat baue keine einzige Anlage, das machten die Investoren, erinnerte Lippold. »Aber wir müssen dazu die Rahmenbedingungen schaffen.« Nur extrem scharf gesetzte Ziele hätten Erfolg. Sachsen habe verstanden und werde nicht einfach zu denen gehören, die ihren Beitrag leisten, sondern sogar besser dastehen als andere Bundesländer. Ziel: vom »Schurkenstaat« zum »Musterland«.
Musikalisch begleitet wurde der Abend von Philharmonie-Cellist Rainer Promnitz. Zum Schluss gab es ein gemeinsames Gebet. Pfarrer Gabriel Beyer rief die Nummer 831 aus dem Evangelischen Gesangbuch auf: »Schöpfer des Alls!«, in dem es unter anderem heißt: »Mach uns zu treuen und sorgsamen Verwaltern deiner Erde, dass wir aufhören, sie zu schänden und auszubeuten.«
Das nächste Politische Nachtgebet findet am 11. Februar statt – dann spricht Dr. Herbert Lappe darüber, »Warum ich Jude bin«. Ende März wird Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erwartet.
Bernd Hempelmann