Wettbewerb für eine neue Carolabrücke?

Ein Wettbewerb für die Carolabrücke

Seitdem für den Neubau der Carolabrücke ein Wettbewerb im Gespräch ist, gibt es dazu gleich drei Online-Petitionen, die ungefähr das Meinungsspektrum der Dresdener Bürgerschaft abbilden.

  • Nicht ganz unerwartet fordert Petition 1 den Nachbau der historischen Carolabrücke von 1895 und hat bislang die meisten Unterzeichner.
  • Petition 2 fordert mit geringer Resonanz tatsächlich den Nachbau der soeben eingestürzten ehemaligen Dr. Rudolf-Friedrichs-Brücke aus 1971.
  • Petition 3 fordert einen freien Brückenbauwettbewerb ohne Zugangsbeschränkungen, um einen fulminanten Brückenentwurf zu erhalten, um dessentwillen die Touristen nach Dresden kommen.

Den Enthusiasmus von Petition 3 teile ich nicht. Ein selbstgefälliges und futuristisches Renommierstück der modernen Brückenbaukunst wäre an dieser Stelle eher kontraproduktiv. Die Erbauer der historischen Carolabrücke von 1895 und des Verkehrszuges von 1971 waren sich immerhin darin einig, optisch den Ball flach zu halten um mit ihren Brückenentwürfen den Blick auf die Stadtkrone Dresdens über der Brühlschen Terrasse nicht zu stören.


Mit einem Nachbau oder einer zeitgemäßen Adaption der historischen Carolabrücke wäre man stadtbildtechnisch auf der sicheren Seite. Diese Brücke war mit ihren eleganten Stahlfachwerkbögen mit 54m Spannweite bereits 1895 eine moderne, auf die Elbeschifffahrt ausgelegte Konstruktion.
So wenig mehrheitsfähig ein Wiederaufbau des eingestürzten und noch abzubrechenden Spannbeton-Brückenzuges in der Dresdener Bürgerschaft zunächst erscheint, so dürfte eine solche Lösung – etwa ein Nachbau des Brückenzuges in Stahl – auf die Dresdener Stadtverwaltung doch erheblichen Reiz ausüben, denn die Verkehrsplaner argumentieren mit der vermeintlichen Leistungsfähigkeit der drei getrennten Fahrbahnen. Das sollte nicht unwidersprochen hingenommen werden.
In der Dresdener Öffentlichkeit ist kaum noch bekannt, dass der Brückenzug in den sechziger Jahren den Endpunkt einer hypertrophen Verkehrstrasse bilden sollte. Weil (glücklicherweise) die mehrspurige Hochstraße entlang der Petersburger Straße nicht finanziert werden konnte, blieb der Mittelstreifen des östlichen Stadtrings vom Dr.-Külz-Ring bis zum Rathenauplatz ungenutzt. Eine ca. 600m lange, 90-100m breite Schneise mit teils verwirrenden, unfallträchtigen Verkehrsanlagen und völlig isolierten Grünflächen ohne jede Nutzung und Aufenthaltsqualität.
Der Brückenneubau bietet nun erstmals die Möglichkeit, diesen städtebaulichen Missstand zu beheben. Allerdings schafft nur eine kompaktere Brücke und eine zusammengefasste Verkehrslösung im Bereich des Pirnaischen Platzes Raum für eine mehr oder weniger verdichtete Erweiterung der Innenstadtbebauung. Selbst wenn auf dieser wertvollen Fläche nur wenige neue Baufelder – etwa für Solitärbauten – ausgewiesen würden, könnte doch das jetzt verschwendete Straßenbegleitgrün zu nutzbaren und ökologisch wertvolleren Freianlagen umgewandelt werden, also beispielsweise aus einem nicht betretbaren Mittelstreifen ein attraktiver Park entstehen.
Ist der Verweis auf den angeblich größeren Zeitbedarf ein Ausschlusskriterium für eine solchen komplexeren Lösungsansatz? Ich denke nein. Selbst im Falle einer „schnellen“ Nachbauvariante würde der Verkehr ja nicht vor 2029/2030 wieder über die Carolabrücke rollen. Es bedarf also in jedem Fall einer provisorischen Lösung in Form einer leistungsfähigen Behelfsbrücke für diesen langen Zeitraum!
Weitsicht ist auch geboten, wenn es um die Art des Wettbewerbsverfahrens geht. Die Verantwortlichen in den Kommunen favorisieren in den letzten Jahren oftmals den sog. Investorenwettbewerb, der für Verwaltung mit geringerem Aufwand verbunden sein soll. Dieser Wettbewerb ist jedoch fast immer ein für die Kommune verbindlicher Preiswettbewerb, auch wenn von den Investoren Äpfel, Birnen und Gurken angeboten werden. Die Bürgerschaft von Dresden sollte deshalb genaue Vorstellungen von der neuen Carolabrücke haben, bevor sie sich Preisangebote einholt. Aus diesem Grund ist ein Realisierungswettbewerb für die Ideenfindung und nachgeschaltete Vergabeverfahren für die Auswahl geeigneter Bieter noch immer das beste Werkzeug.

Fazit
Der Zusammenbruch der Dr.-Rudolf-Friedrichs/Carolabrücke am 11. September birgt also auch eine Chance für unsere Stadt. Das Leitbild für einen Brückenneubau – also im ersten Schritt die Festlegung der grundsätzlichen Prämissen für die Wettbewerbsausschreibung – mit einer Bürgerbeteiligung von Beginn an basisdemokratisch zu untermauern, wie dies die Gesellschaft Historischer Neumarkt unlängst vorgeschlagen hat, wäre von enormer Wichtigkeit für das Projekt Carolabrücke/östlicher Stadtring. Dazu braucht es eine undogmatische, offene Diskussion in der Stadt.

Holger Just
Architekt

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