Die Tanzschule Jöhren-Trautmann

Helga Kreißl und Hans Jöhren-Trautmann im November 2004 in iher Wohnung am Schillerplatz  Foto: Archiv Jöhren-Trautmann

Helga Kreißl und Hans Jöhren-Trautmann im November 2004 in iher Wohnung am Schillerplatz
Foto: Archiv Jöhren-Trautmann

99 Jahre wurde Hans Jöhren-Trautmann im November 2004 und 89 Jahre bestand die viele Jahrzehnte von ihm geführte Tanzschule

Das Werbeschild „Tanzschule Jöhren-Trautmann“ am Balkon des Hauses Schillerplatz 6, gleich neben dem Blauen Wunder, ist wohl noch vielen Anwohnern in Erinnerung. Unzählige Jugendliche oder Paare gingen durch die Haustür, um in der zweiten, später dann in der ersten Etage die Tanzstunde zu besuchen. Hans Jöhren-Trautmann wurde am 6. November vorigen Jahres 99 Jahre. Aus diesem Anlass besuchen wir den Tanzlehrer und Maler in seiner Wohnung in der dritten Etage des Hauses, wo er Jahrzehnte auch unterrichtete.

Seine zweite Frau, Helga Kreißl-Jöhren, begrüßt uns und führt uns in das Wohnzimmer mit Blick auf den „Schillergarten“. Die Wände sind bis auf den letzten Quadratzentimeter mit seinen 250 Gemälden geschmückt und Pokale von gewonnenen Wettbewerben stehen im Schrank. Als der Jubilar kommt, sind wir überrascht. Er hat sich verändert, aber nichts von seiner Eleganz und Vitalität eingebüßt. Sein Kopf ist voller Anekdoten und Geschichten und wir versuchen, diese zu ordnen und sein Leben nachzuvollziehen.

Der Jugendtanzkreis „Mosaik“ mit den Leitern Helga Kreißl (links) und Hans Jöhren-Trautmann. Foto: Roth

Der Jugendtanzkreis „Mosaik“ mit den Leitern Helga Kreißl (links) und Hans Jöhren-Trautmann.
Foto: Roth

Hans Jöhren wird am 6. November 1905 in Brakel im Kreis Höxter in Westfalen geboren. Er wächst in Paderborn auf, besucht von 1913 bis 1921 die Volksschule und danach, bis 1927, die Oberrealschule. Das Zeichnen wird seine große Leidenschaft und er beginnt nach dem Abitur ein Studium an der Kunstakademie in München. 1933 bewirbt er sich an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden, um bei Professor Guido Richter mikroskopisches Zeichnen zu erlernen. Er wird in diesen Jahren auch mit Otto Dix bekannt. Auf einem Künstlerball lernt er Susanne Trautmann kennen, deren Eltern seit 1907 eine Tanzschule auf der Grunaer Straße leiten. Das ­Tanzen liegt ihm im Blut und ­ die Schritte begreift er schnell. Die Eltern seiner Freundin denken sogar, er wäre ein „Spion“ einer anderen Tanzschule.

Beide hei­raten 1935 und er legt ­sich den Künstlernamen Jöhren-Trautmann zu. Als seine Frau ihn darum bittet, die Tanzschule mit zu führen, willigt er ein. Er macht von 1938 bis 1941 eine Ausbildung zum Tanzlehrer  bei Reinhold Sommer am Rankeplatz in Berlin und arbeitet danach dort für ein Jahr als Tanztrainer. Zurück in Dresden bleibt nicht viel Zeit, bis er eingezogen wird.

Das Turniertanzpaar Jöhren-Trautmann in den fünfziger Jahren. Foto: Archiv Jöhren- Trautmann

Das Turniertanzpaar Jöhren-Trautmann in den fünfziger Jahren.
Foto: Archiv Jöhren- Trautmann

Er wird zum Funker ausgebildet und in Königsberg in Ostpreußen und später in Riga eingesetzt. Seine zeichnerischen Fähigkeiten verschaffen ihm Privilegien, die diese Zeit erträglich machen. Auch in amerikanischer Gefangenschaft kann er sein Können nutzen. 1946 wird er entlassen, kehrt aber erst 1948, als sich die Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone etwas entspannen, nach Dresden zurück. Das Haus auf der Grunaer Straße ist total zerstört und seine Frau führt die Tanzschule im „Volkshaus Laubegast“ weiter. Die angehenden Eleven müssen Holz, Briketts oder Streichhölzer selber mitbringen.

Auch wenn die Lebensverhältnisse alles andere als rosig sind, beginnt für die Tanzschule Hans und Susanne Jöhren-Trautmann jetzt eine große Zeit. Die Menschen wollen sich wieder amüsieren, Spaß haben und tanzen. In allen unzerstörten großen Ballsälen in Dresden wird am Wochenende zum Tanz gebeten. Die Grenzen zwischen Tanzmusik, Jazz und Pop sind noch nicht gezogen und zur Formung guter Sitten von Jugendlichen ist die Tanzschule bei Lehrern und Eltern auch im Sozialismus gewünscht. Die Tanzschule Jöhren-Trautmann bietet allen das passende Parkett. Bis zu 50 Paare kommen jeden Tag zu Anfängerkursen und Zirkeln für Ehepaare und Fortgeschrittene. 1949 gründen beide den „Tanzkreis Rosa-Lind“.

Er wird eine führende Rolle im Dresdner Turniertanzsport der nächsten Jahrzehnte spielen. In allen Leistungsklassen starten Paare des Tanzkreises und gewinnen viele Meisterschaften. Als Trainer begleiten sie später auch die Tanzgruppen „Blau-Gold“, „Excelsior“, „Silbervogel“, den Jugendtanzkreis „Mosaik“ und die Pirnaer Tanzgruppe „Silberpfeil“.

Susanne und Hans Jöhren-Trautmann werden aber auch als Turniertänzer bekannt. Sie trainieren regelmäßig und können in Bad Kissingen beim englischen Weltmeister Irwin Unterricht nehmen. Sie gewinnen ihre ersten Turniere und werden in den fünfziger Jahren Deutscher Meister. 1959 können sie die Deutsche Meisterschaft der Lehrer für Gesellschaftstanz in Leipzig erringen und ein Jahr später noch einmal Seniorenmeister in Berlin werden. Es sind aufregende Jahre. Das Ehepaar organisiert und leitet große internationale Turniere in Dresden.

Es inszeniert für Pressefeste und andere Feiern Gesellschaftstänze und fungiert als Wertungsrichter. Sie ziehen mehrfach um, bis sie Anfang der sechziger Jahre eine Wohnung mit Saal in der zweiten Etage am Schillerplatz 6 beziehen können. Sie kaufen ein Grundstück und bauen ein Haus, in das sie nie einziehen werden. Als 1961 die Berliner Mauer gebaut wird, ist das Paar auch international so bekannt, dass der Staat sie weiter in den Westen reisen lassen muss.

1963 stirbt unerwartet Susanne Jöhren-Trautmann. Die 33 Jahre jüngere Assistentin Helga Kreißl wird dem Witwer zur Vertrauten, dann zur Freundin und zieht 1965 mit in die Wohnung. Sie bekommen zwei Kinder, Uwe und Annette, führen gemeinsam die Tanzschule weiter und heiraten viele Jahre später, 1993. Nach einem Umbau des Hauses am Schillerplatz in den achtziger Jahren richten sie die Tanzschule in der ersten Etage ein und beziehen die Wohnung in der dritten.
Die Arbeit geht unverändert weiter. Früh muss der Tanzsaal hergerichtet werden, gegen 15 Uhr kommen die ersten Gäste und Heinz Lehmann, der über viele Jahre die Schallplatten auflegt.

Helga Kreißl und Hans Jöhren-Trautmann um 1970 in ihrer Wohnung am Schillerplatz  Foto: Jürgen Frohse

Helga Kreißl und Hans Jöhren-Trautmann um 1970 in ihrer Wohnung am Schillerplatz
Foto: Jürgen Frohse

Mit den verschiedenen Kursen und Tanzkreisen geht es meist bis 22 Uhr, sonnabends sind Abschlussbälle und sonntags Turniere von ihnen trainierter Tanzkreise. Selten gibt es eine Woche, wo ein Tag frei ist. Aber es ist ihr Leben und sie lieben es, in den großen Sälen im „Parkhotel Weißer Hirsch“, in „Königs Weinberg“ in Wachwitz, im „Elbe-Hotel“ in Loschwitz, im „Gasthof Weinböhla“, im „Volkshaus Laubegast“ oder in der „Freundschaft“ in Leuben Abschluss­bälle zu veranstalten.

Die Zeit hinterlässt an vielen Veranstaltungsorten Spuren und in nur wenigen können heute noch Bälle veranstaltet wer­den. An Hans Jöhren-Trautmann scheint die Zeit vorbei zu gehen. Er ist mit der Wende 1989 seit 19 Jahren Rentner und die Tanzkurse sind noch immer ein Mag­net. Erst mit der Sanierung des Hauses 1996 und einer unangemessenen Mietforderung für den Tanzsaal beenden Hans Jöhren-Trautmann und seine Frau Helga Kreißl-Jöhren die 89-jährige Geschichte der Tanzschule.

Nach unserem Gespräch blättern wir in Aufzeichnungen des „Tanzkreises Rosa-Lind“ und in Fotoalben. Meiner Bitte, für ein aktuelles Foto noch einmal eine Tanzhaltung einzunehmen, kommen beide gerne nach – nur solle ich mich einen Moment gedulden, er müsse sich erst umkleiden. Perfekt in Schale kommt er nach einigen Minuten zurück. Beide stellen sich in Positur und noch heute, mit 99 Jahren, ist er durch und durch Tänzer. Seiner Leidenschaft und seinem eigentlichen Beruf, der Malerei, ist Hans Jöhren-Trautmann aber bis heute treu geblieben.

Ihr verdankt er, wie er sagt, dass er so alt wurde. „Über viele Jahre bin ich früh aufgestanden, nahm einen Apfel und eine Schnitte, und ging in die Natur, zu zeichnen – dass hält jung“. Als wir unseren Besuch beenden, zieht auch er sich an, um einen kleinen Spaziergang nach Laubegast zu machen – natürlich hin und zurück.

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Veröffentlicht unter Artikel aus der Print-Ausgabe, Der Elbhang-Kurier, Kunst und Kultur