Gedenkrede Christiane Just

Liebe Freunde, Verwandte und Kollegen von Christiane Just, lieber Andreas, lieber Roderick Just, liebe Dr. Siglind Just und Dr. Manfred Just, liebe Anette Röder!

Grabstein Christiane Just

Grabstein Christiane Just

Das letzte Mal sah ich Christiane Just zu meiner Laudatio im Juni in der Galerie 2. Stock im Rathaus, wo ihr Lebengefährte Andreas Hegewald mit seinen Tintografien an einer Ausstellung teilgenommen hatte. Sie war „in Vertretung“ erschienen und bedankte sich herzlich bei mir. Mit ihrer wie immer freundlichen, aber zurückhaltenden Art verzauberte sie die Leute um sie herum. Als wir mit Sekt anstießen, lachte sie mir ins Gesicht. Mir fiel nur auf, dass viele ihrer blonden Haarsträhnchen wie bei einer Clownin bizarr vom Kopf abstanden, ein groteskes Bild zwischen Tragik und Fröhlichkeit, das mich wie eine vage Vorahnung ihres baldigen Todes beschlich.

Am 6. September ist Christiane im Alter von 51 Jahren an einer unheilbaren Krankheit gestorben. Für mich war ihr Tod ein Schock, wie wohl für alle, die sie kannten. Die Lücke, die ihr Tod gerissen hat, wird schwer auszufüllen sein. Sie war ein stiller, ausgeglichener und lebensbejahender Mensch mit großer Einfühlung und Sensibilität und eine großartige Künstlerin, die bis zuletzt an ihren Projekten vollkommen hingegeben arbeitete. Darunter ist ihr “Kirschenbuch” (eigentlich “Le Temps des cerises”, zu deutsch “Kirschenzeit”). Das war ursprünglich ein Liebeslied, das 1866 von Jean Baptiste Clément verfasst wurde und der Pariser Commune als heimliche Hymne diente. Zu diesem Text schuf sie eine kolorierte Aquatinta für ein kleines Faltbüchlein. ”Ihr Gesang“, so Andreas Hegewald „erfüllte während ihrer Arbeit das ganze Haus“.

Trotz ihres frühen Todes hat Christiane alle Dinge zu Ende gebracht. Sie betrieb ihre Kunst angesichts eines tiefen Bedürfnisses nach Wahrhaftigkeit. In ihrer Arbeit an vielen wertvollen Kunstbüchern zusammen mit Andreas Hegewald hatte sie immer das Gespür für ebenbürtige Literatur, angefangen mit den Gedichten von Wolfgang Hilbig, Ingeborg Bachmann und Herta Müller, Dantes “Vita nuova” mit den von ihr handgesetzten Sonetten bis zur letzten gemeinsamen Edition von Keith Barnes 30 Gedichten des Zyklus „Die Wasser werden schaukeln“. In diesem Band sind beide Künstler erstmals als Grafiker vereint. Das von einer Studienreise im vergangenen Jahr nach Cleveland/Ohio inspirierte Buch unter dem Titel „ART ERIE, Umrundungen des Auges“ wird im Februar 2012 erscheinen zusammen mit einer gemeinsamen Ausstellung in der Feuerwache Loschwitz. Die am 12. September eröffnete “Biennale Biblioparnasse” in der Normandie, auf der sie mit der Installation “Fliegende Bücher” vertreten ist, erlebte sie nicht mehr.

Christiane Just brachte ihre Begabung aus einer absolut stillen Gewissheit hervor. Große Stoffe wurden in Stille und Vertiefung bewältigt. Ihr Diplom legte sie bei Professor Günter Horlbeck 1987 zu dem Großgedicht “Ophelia” aus dem Buch „Stimme Stimme“ von Wolfgang Hilbig ab. Einer frühen Zusammenarbeit mit Herta Müller entsprangen grafische Blätter zu den beiden Dichtungen: „Der kalte Schmuck des Lebens“” und „Fleischfressender Schuh“. Ingeborg Bachmanns Dichtung „Curriculum vitae“ regten sie zu Radierungen an. 2003 gründeten Christiane Just und Andreas Hegewald die „edition buchenpresse“ (d.h. Bücher zur zeitgenössischen Dichtung und zu vergessener Klassik). Arbeiten zu Schillers Ode „Das Ideal und das Leben“, sowie zum „Bestiarium“ von Apollinaire folgten. Hervorzuheben ist ihre jüngste Beschäftigung mit Gedichten der französische Dichterin Anne Arc. Seit 1987 erschienen von ihr Bücher im Selbstverlag, im Leitwolfverlag, ebenso Beiträge für Künstlerzeitschriften. In der Leipziger „Rennbahnband für freie Improvisation“ wirkte sie als Perkussionistin. Sie war Mitbegründerin der Malschule und der Galerie Adlergasse im Kulturverein riesa efau. Als Vorstandsmitglied des sächsischen Künstlerbundes (seit 2000) hat sie sich mutig für die Belange ihrer Kollegen eingesetzt. 2003 – 2005 qualifizierte sie sich im Fernstudium zur “Webdesignerin” mit Diplom. Viele ihrer Arbeiten sind im Besitz des Deutschen Literaturarchivs Marbach, der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und der Deutschen Nationalbibliothek.

Der erlittene Verlust erfüllt uns mit großer Trauer. Wir wollen hier in Gedanken an Christiane eines Menschen gedenken, der sich einen Platz in unserer Erinnerung verschafft hat. Vom Tode lebt und blüht die Kunst. Die einen verdrängen ihn, die andere verwandeln ihn. Letztere sind die Künstler. Der Tod macht das Ewige erst möglich durch seine Verwandlungen. Christiane wusste das: Angesichts des Unentrinnbaren formte sie aus ihren Ängsten etwas, was uns alle beglückt und mutiger macht. Anlass unserer heutigen Zusammenkunft ist nicht nur das Gedenken an Christiane sondern auch die Fertigstellung der Grabstele, die von ihren Lebensgefährten Andreas Hegewald geschaffen, nach langem mühevollen Instanzenweg endlich aufgestellt werden konnte. Ihr Sockel besteht aus blauem Labradorit und Christianes blattgoldenem Signé sowie dem daraufliegenden Kopf aus grünem Serpentin. Beschriftet ist er auf der Rückseite mit Worten eines seiner Aphorismen, die demnächst in einem Band im Verlag Schumacher/Gäbler edition petit unter dem Titel “Kletten” erscheinen werden. Er lautet: “Mit den Sternen durch die Dornen”.

Philippe Jaccottet schrieb in seinem inspirierendem Essaybuch über Natur und Dichtung: „Der Spaziergang unter den Bäumen“ an besonderer Stelle:
„Ich sehe jetzt an diesem Tagesende…, nachdem der Wind die Wolken zerstreut hat, die hinfort allenfalls noch sein Spiegel sind; die Feldarbeiten sind für eine Zeit verrichtet; einige Vögel kreisen über den Dächern, dahinter, noch unsichtbar, sind die Sterne, die gleichfalls kreisen und leuchten; und noch ferne, diesmal nicht mehr am sichtbaren Himmel, sondern am Grunde unseres Herzens, ist da der Tod, der uns seine schmerzlichen Strahlen sendet. Gelobt sei also der Tod, der unsere Leidenschaften nährt, gelobt sei dieser Wind, der durch das leichte Laube der Akazien auf dem Platze fährt, gelobt sei die Liebe, die das Lob aufsteigen lässt über die Schuld und die unseren Geist hinaufträgt in ihren mächtigen Raubvogelkrallen, dass er die lichtesten Höhen der Luft erreiche“.

Jetzt erklingen die „freien Intensionen“ von Matthias Jakisch, zwei Stücke, vorgetragen auf zwei selbst angefertigten Steinflöten.

Heinz Weißflog

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