Leserbrief von Dr. Heidrun Wozel zum Beitrag im Elbhang-Kurier vom Monat April 2018 »Das große Vogelschießen. Eine Betrachtung zur besonderen Photographie«
Erfreulicherweise wurde im Aprilheft von Jürgen Frohse an die »Dresdner Vogelwiese« erinnert, die aus dem öffentlichen Pfingstschießen der Armbrustschützen hervorging und damit das älteste Dresdner Volksfest ist. Weil erste Nachrichten zum Übungsschießen für Stadtverteidigung und Heeresfolge bereits aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts vorliegen, gehört das Fest darüber hinaus zu den älteren deutschen Traditionen im Schützenwesen, die im Rahmen der Erfassung immateriellen Kulturerbes durch die Deutsche UNESCO-Kommission von Bedeutung sind. Zur 800-Jahrfeier Dresdens wurde in der dreibändigen Stadtgeschichte der Dresdner Vogelwiese (Band 1, Seiten 336 – 340), neben dem Dresdner Striezelmarkt, ein besonderer Platz eingeräumt.
Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung bin ich nach der Fortsetzung des Vogelschießens in der Gegenwart befragt worden, das bekanntlich neben dem vielfältigen Vergnügungsangebot der Schausteller seit 1874 Besucher von Nah und Fern zu den Johannstädter Elbwiesen gelockt hatte. Zur Eröffnung hallten damals Böllerschüsse durch das Elbtal, und es wurde zeitweilig sogar eine Dampferanlegestelle eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nach Auskunft von Zeitzeugen auf dem vorzüglich ausgebauten Festgelände Trümmerschutt abgelagert.
Die Vereine, darunter auch die privilegierte Bogenschützen-Gesellschaft als Träger des Festes, wurden aufgelöst und der Rat der Stadt übernahm die Veranstaltung. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren gelang es – im wesentlich kleineren Rahmen als in der Vorkriegszeit – wieder Vogelschießen durchzuführen. 1953 war der damalige Fucikplatz (heute Straßburger Platz) als Festgelände bezogen worden, und der Schießplatz befand sich 1954 an der Herkulesallee im Großen Garten. Hier stand ein Schießzelt für die Schiedsrichter, den Spanner (Spannen der Armbrustsehne vor dem Schuss), den Rüstmeister und den Bolzenholer (Einsammeln der abgeschossenen Armbrustbolzen).
Für die Ausstellungen und Verkaufsmessen in der damaligen Stadthalle (heute Militärmuseum), für die Volksfeste Frühlings- und Herbstfest sowie Vogelwiese, und für das Marktwesen war damals die städtische Einrichtung »Ausstellungen der Stadt Dresden« zuständig. Die Vogelschießen waren zum Teil öffentlich oder fanden für »angemeldete Teilnehmer aus Betrieben und Kollektiven« statt. Erfolgreiche weibliche Schützen konnten auch mal ein Bügeleisen und eine leckere Zervelatwurst gewinnen. Zwei Spendenschießen für den Wiederaufbau der Semper-Oper standen auch auf dem Programm.
Erst 1992 wurde wieder auf den Johannstädter Elbwiesen von neu gegründeten Schützenvereinen eine Vogelstange errichtet, nach dem »Adler geschossen« und eine Ausstellung von Schützenvögeln gezeigt. Nach alter Tradition erschien eine »Vogelwiesenzeitung«. Mein im Dresdner Verlag der Kunst erschienenes Buch »Die Dresdner Vogelwiese. Vom Armbrustschießen zum Volksfest« begleitete die Initiativen, die dank Förderung durch das Kulturamt der Stadtverwaltung und mit Unterstützung vieler Leihgeber 1993 zu einer Sonderausstellung im Stadtmuseum führten. Im Jahre 2004 wurde dann das neue Volksfestgelände in der Nachbarschaft der Marienbrücke und des Ostrageheges bezogen, das freilich nicht die weite und landschaftlich reizvolle Lage der Elbwiesen aufweisen kann. Auch hier wird die Tradition des Vogelschießens auf Initiative des Dresdner Schaustellerverbandes e. V. mit einem Schützenverein fortgesetzt. Einladungen ergehen an die Stadträte und den Oberbürgermeister, der auch schon den Titel »Schützenkönig« errang.
Die besondere Photographie zeigt m. E. den letzten Rüstmeister der privilegierten Bogenschützen-Gesellschaft zu Dresden, Hermann Buhle (1873-1945) im Jahr 1906. Er war in der Nachfolge seines Vaters seit 1900 in diesem Amt. Mit verdientem Stolz kann er den in seiner »Schießvogel- und Bogenschnepper-Werkstatt« gebauten Vogel präsentieren. Diese großen Adler konnten ein Gesamtgewicht von 90 kg erreichen. Es war genau zu beachten, welcher Teil aus Weichholz oder aus Hartholz gefertigt sein musste, um die Haltbarkeit des Vogels wegen der unterschiedlichen Witterungseinflüsse zu gewährleisten.
Allerdings besteht hinsichtlich der Datierung der Photographie und somit auch des 450. Jubiläums der Bogenschützen-Gesellschaft eine Differenz von 10 Jahren. Wie ist das zu erklären? Der Chronist Schulze bildet die Aufnahme in seiner »Geschichte der privilegierten Bogenschützen-Gesellschaft zu Dresden«, die 1913 erschien, mit dem Entstehungsdatum 1906 ab – und er war Augenzeuge des Jubiläums. Die lange vertretene Meinung Dresdner Geschichtsschreiber, 1446 sei das Gründungsjahr gewesen, wurde demzufolge damals verworfen und stattdessen 1456 angenommen. Diese Zählung wurde beibehalten und 1931 das 475. Jubiläum sowie 1956 das 500. Jubiläum anlässlich der 750-Jahrfeier Dresdens mit einer Ausstellung festlich begangen.
Zum Schluss möchte ich alle Leser dazu einladen, wieder einmal die Vogelwiese zu besuchen und sich selbst einen Eindruck zu verschaffen.
Dr. Heidrun Wozel, Volkskundlerin