Predigt: „Der Heilige Geist als Schlüssel“.

Anlässlich „125 Jahre Heilig-Geist-Kirche Blasewitz“ veröffentlichen wir eine Predigt von Hans-Peter Hasse „Der Heilige Geist als Schlüssel“, gehalten von Pfarrer Dr. Hans-Peter Hasse am 9. September 2018 in der Heilig-Geist-Kirche Dresden-Blasewitz im Rahmen der Predigtreihe „Der Geist ist’s, der lebendig macht“ (Joh 6, 63) anlässlich des 125. Kirchweihjubiläums der 1893 errichteten Heilig-Geist-Kirche.

Historischer Kirchenschlüssel der Heilig-Geist-Kirche Dresden-Blasewitz, bei der Weihe der Kirche am 15. Oktober 1893 am Hauptportal der Kirche übergeben.
Foto: Stefan Behr

Ist es erlaubt, über den Schlüssel einer Kirche eine Predigt zu halten?

Ich nehme mir dafür die Freiheit, weil es ein besonderer Schlüssel ist: der kunstvoll gestaltete historische Kirchenschlüssel der Heilig-Geist-Kirche, der bei der Weihe der Heilig-Geist-Kirche am 15. Oktober 1893 übergeben wurde, vor 125 Jahren.

Vermutlich hatte damals der Architekt der Kirche, Karl Emil Scherz (1860-1945), dem Schlosser eine Zeichnung vorgelegt, wie er den Schlüssel zu gestalten hat. Es war der Ehrgeiz des jungen Architekten, „seine Kirche“ (er wohnte nebenan) bis ins letzte Detail zu einem Gesamtkunstwerk zu gestalten. Es gibt Zeichnungen von ihm zur Kanzel, zu den Brautstühlen, zu den Türbeschlägen − jedes Detail mit Liebe und Sorgfalt geplant.

Damit war klar, dass es auch für den Kirchenschlüssel einen Plan geben muss. Immerhin wusste der Architekt, dass dieser Schlüssel bei der Weihe der Kirche in aller Öffentlichkeit vor vielen Menschen am Kirchenportal übergeben wird. Eine feierlicher Moment, im Leben eines Kirchenschlüssels der absolute Höhepunkt. Wie sollte nun der Schlüssel für die neue Heilig-Geist-Kirche aussehen?

Der Bart des Schlüssels ist als Buchstabe „G“ gestaltet − ein Hinweis auf den Namen der Kirche: „G“ für „Geist“.
Foto: Stefan Behr

Das Ergebnis liegt als Bild vor Ihnen: Zwei Fotografien, die den Schlüssel aus unterschiedlichen Positionen zeigen. Das Bild zeigt, dass der Griff einen stehenden Vierpass enthält.

Der Vierpass ist ein altes christliches Ornament aus der Zeit der Romanik und Gotik, das man oft in den Kirchen des Mittelalters findet. Er setzt sich aus vier Dreiviertelkreisen zusammen. Vor allem im Maßwerk von Kirchenfenstern kann man ihn finden. Der Architekt war mit den Ornamenten der Gotik bestens vertraut. Er hatte den mittelalterlichen Kirchenbau studiert. Beim Bau der neugotischen Kirche in Blasewitz schöpfte er alle Möglichkeiten aus, um diese Kirche mit Schmuckelementen und alten Formen und Symbolen auszustatten.

Kirchenbank mit eingeschnittetem Vierpass.
Foto: Stefan Behr

Den Vierpass finden wir in unserer Kirche versteckt an so manchen Stellen, man muss aber danach suchen. Hier im Kirchenraum habe ich ihn zweimal gefunden. In den Fliesen im Altarraum, gleich vorn an den Stufen. Und dann ganz dich bei Ihnen: Sie sitzen gerade darauf. In die Kirchenbänke wurde ein Vierpass eingeschnitten.
Dann gibt es noch ein kleines Kirchenfenster, das den Krieg überstanden hat, im Gang hinter dem Altarraum, mit vier ineinander verschlungenen Ringen, die einem Vierpass ähneln. Ganz klein sind vier weiße Blüten zu erkennen, jede Blüte ein Vierpass.

Sie werden sich jetzt fragen: Was soll dieses Motiv bedeuten? Enthält der Vierpass eine geheime Botschaft? Ich weiß es nicht. Die Bedeutung des Ornamentes ist nicht eindeutig. Eine verbreitete Deutung sieht im Vierpass ein Symbol für die vier Evangelisten.

Man kann in dem stehenden Vierpass aber auch ein Kreuz angedeutet sehen und damit einen Hinweis auf Jesus Christus. Das Symbol lässt mehrere Deutungen zu.
Der Kirchenschlüssel zeigt noch eine andere Besonderheit: Der Bart des Schlüssels hat die Form eines Buchstabens: ein „G“ wie „Geist“. Das steht für den Namen dieser Kirche: „Heilig-Geist“-Kirche. Ich muss zugeben: Hätte mir jemand den Schlüssel in die Hand gegeben, ich hätte das nicht gemerkt. Darauf kommt man nicht: dass sich im Bart eines Schlüssels eine Buchstabe versteckt!

Kirchenfenster mit vier ineinander verschlungenen Ringen.
Foto: Stefan Behr

Ich hätte es nicht gemerkt, wenn mir nicht im Pfarrarchiv ein altes Foto in die Hand gefallen wäre: das Bild von einer Hand, die den Schlüssel genau so hält, dass man das „G“ erkennen kann. Zu diesem Bild fand ich eine Erklärung des Blasewitzer Pfarrers Harry Michel, der 1943 zum 50. Kirchweihjubiläum einen Vortrag über die Heilig-Geist-Kirche gehalten hat. Da ist auch genau beschrieben, wie der Kirchenschlüssel bei der Weihe der Kirche übergeben wurde:

Ein großer Festzug bewegte sich am Sonntagmorgen des 15. Oktober von der Schule an der Wägnerstraße zur Kirche: „Musik, Ehrenjungfrauen, Baumeister und Gewerke, die Geistlichen in Amtstracht, der Kirchenvorstand, die Behörden und Ehrengäste, die Gemeinderäte von Blasewitz und Gruna, die Lehrer, Frauen und Männer der Vereine“ (so die Aufzählung in der gedruckten Festordnung).

Als der Festzug unter dem Läuten der Glocken am Portal der Kirche angekommen war, sangen alle den Choral: „Tut mir auf die schöne Pforte“.
Um die Pforte „aufzutun“, brauchte es einen Schlüssel.

Den Kirchenschlüssel trug die Tochter des Pfarrers auf einem weißseidenen Kissen. Der Schlüssel wurde zuerst dem Vertreter des Landeskonsistoriums, dann dem Superintendenten und schließlich dem Pfarrer der Kirche [Woldemar Leonhardi] übergeben. Beim Weitergeben des Schlüssels wurden Segensworte gesprochen. Dann heißt es in dem Bericht: „Im Namen des dreieinigen Gottes erschloss [der Pfarrer] die Kirchenpforte, und während die Musikkapelle einen Choral intonierte, erfolgte der feierliche erste Einzug der Festteilnehmer in das neue Gotteshaus.”

Das war für den Kirchenschlüssel der größte Moment in seinem Leben. Nie wieder erlangte er solche Aufmerksamkeit. Dann verschwand er im Kirchenarchiv und wurde fast vergessen. Ich nehme diesen Schlüssel heute einmal als Text.

So könnte der Text lauten: Der Geist Gottes ist wie ein Schlüssel, der Herzen von Menschen aufschließen kann, von Gott etwas zu spüren, seine Gegenwart zu erleben: im Gottesdienst, oder auch ganz woanders.

Weil der Geist „weht, wo er will“ (Johannes 3, 8), ist der Geist Gottes nicht nur im Kirchenraum zu spüren, sondern auch an anderen Orten: in der Natur, in der Stille, in der Einsamkeit, in der Begegnung von Menschen, in Momenten des Glücks, aber auch in Momenten von Verzweiflung, Angst und Not.

Gottes Geist „weht, wo er will“.
Er lässt sich nicht einschließen, auch nicht in einen Kirchenraum.
Er ist nicht ein Geist des Zuschließens.
Er ist ein Geist des Aufschließens.
Er kann Herzen von Menschen aufschließen, die sich dann öffnen für eine Erfahrung mit Gott.

Was passiert, wenn der Geist einen Menschen aufschließt? Paulus schreibt: „Der Herr ist Geist; wo aber der Geist ist, da ist Freiheit.“ (2. Kor 3, 17). Freiheit, ein kostbares Gut. Das wünscht sich jeder Mensch: Freiheit von Sorgen und Ängsten. Freiheit von Zwängen und Problemen, die belasten. Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit − schreibt Paulus.

Was lässt sich über diesen Geist sagen? Wir sehen ihn nicht, er lässt sich auch nicht beschreiben. Die Bibel ist da sehr zurückhaltend. Dafür spricht sie umso mehr von den Früchten und Wirkungen des Geistes. Paulus hat im Galaterbrief einmal neun Früchte des Geistes aufgezählt: „Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit.“ (Galater 5, 22).

Man könnte noch mehr Früchte des Geistes zusammentragen: was alles der Geist Gottes bewirkt. Wenn es auch nur eine Frucht wäre, die wir bekommen, wäre das schon viel. Liebe. Oder: Freude. Oder: Freundlichkeit … Je nachdem, wie wir so sind, hätten wir die eine oder andere Frucht des Geistes nötig.
In dem Lied, das wir nachher singen werden, wird die Bitte ausgedrückt, dass der Geist Gottes in unsere Leben eindringen möge:

„Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft,
die uns verbindet und Leben schafft.
Wie der Sturm so unaufhaltsam,
dring in unser Leben ein!
Nur wenn wir uns nicht verschließen,
können wir deine Kirche sein.“ (Singt von Hoffnung Nr. 021).

„Nur wenn wir uns nicht verschließen …“ Es braucht einen Schlüssel, der uns öffnet. Der Kirchenschlüssel scheint dafür nicht geeignet zu sein, denn mit ihm kann man kein Türschloss mehr aufschließen. Die Zeiten sind vorbei. Das Schloss der Kirche hat heute ein Sicherheitsschloss.

Das Türschloss, in das der Bart mit dem Buchstaben „G“ hineinpasst, gibt es nicht mehr. Der praktische Wert des Schlüssels ist gleich Null. Könnte man ihn doch noch zu irgendetwas gebrauchen?

Er könnte uns daran erinnern, dass wir in unserem Leben auf den Geist Gottes angewiesen sind. Auf seine inspirierende Kraft, auf den frischen Wind, der von ihm ausgeht. Der Schlüssel des Geistes ist immer und auch heute auf der Suche nach einem Schloss: hier in unserer Kirche, ja bei einem jeden von uns. Wenn er da etwas verschlossen findet, würde er es gern aufschließen.

Es gibt nichts schöneres, als wenn sich Menschen öffnen.
Sich öffnen füreinander und zueinander.

Wenn der Schlüssel es geschafft hat, Menschen aufzuschließen, ist vielleicht noch mehr möglich: Dass der Schlüssel dann auch noch die ganz harten und schweren Schlösser knackt: die uns von Gott trennen, die uns daran hindern, sich für ihn und seinen Geist zu öffnen.

Probieren wir es mit diesem Schlüssel, der der Geist Gottes ist. Dann werden wir etwas von der Kraft und von den Früchten dieses Geistes erfahren: „Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, − [und wenn es sein muss: auch die] Enthaltsamkeit.“

Wenn wir diesen Schlüssel an unsern Schlüsselbund dranhängen, kann er uns immer daran erinnern, um Gottes Geist zu bitten wie in diesem Lied:
„Komm, Heilger Geist, mit deiner Kraft,
die uns verbindet und Leben schafft.
Wie der Sturm so unaufhaltsam,
dring in unser Leben ein!
Nur wenn wir uns nicht verschließen,
können wir deine Kirche sein.“

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