AWO-Geschichten – auch vom Elbhang!

Eine DDR-Motorradlegende im Verkehrsmuseum

Wer derzeit (noch bis zum 1. Mai) das Dresdner Verkehrsmuseum besucht, kann die „AWO“ nicht übergehen – optisch und akustisch –, auch wenn er vielleicht ganz andere Exponate sucht. Unter dem Slogan „Zwei Räder Vier Takte/AWO – das Kult-Motorrad der DDR“ lässt das Museum eine knapp 15 Jahre währende Ära lebendig werden, in der AWO-Motorräder entwickelt und produziert wurden, die Vielen zur „individuellen Mobilität“ verhalfen. Eine Ära, die unterschwellig noch immer weiterlebt, verfolgt man das Begleitprogramm der Ausstellung und studiert das ausliegende „Erinnerungsbuch“ der Fangemeinde. Dort wurde auch der Elbhang-Kurier fündig und gibt – neben einem Leserbrief – drei „Liebha­ber­geschichten von Hangbewohnern“ auszugsweise zum Besten.    

DB

Rennen im Leipziger Stadtpark, 1957. Foto: Archiv Winter

Rennen im Leipziger Stadtpark, 1957.
Foto: Archiv Winter

Autobahngeländer als Amboss

Hans und Helga Pitzschke sen. (Oberwachwitz) erinnern sich (er: einst Elektriker im Flugzeugwerk, sie: Speditionskauffrau und „Schriftführerin“ der Familie):

Im Sommer 1971 waren wir mit unserem Sport-AWO-Gespann im Slovensky Raj im Urlaub. Bei einer Fahrt brach der Bördelrand vom Auspuffkrümmer ab. Was nun? Glücklicherweise fanden wir in Poprad eine Werkstatt, die alles wieder zusammenschweißte. Leider war die Freude nur kurz. Auf der Heimfahrt, nach etwa 100 Kilometern brach die Bördelung wieder ab – nun war wirklich guter Rat teuer. An einer Brücke befand sich ein Geländer mit einer Eisenbahnschiene als Haltegriff. Da mein Mann immer Werkzeug bei sich hat, benutzte er die Schiene als Amboss und formte mit einem Hammer den Bördel auf den Auspuffkrümmer. Nun bestand unsere AWO die Heimfahrt ohne besondere Vorkommnisse.

So sah die Urlaubsfuhre von Dr. Peter Naumann und Familie Ende der 1960er Jahre aus. Foto: privat

So sah die Urlaubsfuhre von Dr. Peter Naumann und Familie Ende der 1960er Jahre aus.
Foto: privat

Freud und Leid eines AWO-Spreewaldurlaubs

Dr. Peter Naumann (71, Wachwitz), einst an der Dresdner Verkehrshochschule im Fachgebiet Eisenbahnsignaltechnik tätig

In einem Sommer Ende der 60er Jahre fuhren wir gemeinsam mit Freunden in den Spreewald, um am Köthener See zu campen, was damals übrigens noch zelten hieß. Unsere Freunde fuhren bereits mit ihrem Trabant, während wir auf einen neuen Trabi noch einige Jahre warten mussten und für einen gebrauchten nicht genügend Bargeld hatten (zur Erinnerung: Infolge der langen Wartezeiten waren in der DDR gebrauchte Autos im Allgemeinen teurer als neue!). Deshalb gingen wir also mit unserem AWO 425S-Gespann auf die Reise. Während der Trabant außer unseren Freunden und deren drei kleinen Kindern, auch meine Frau und unsere fünfjährige Tochter sowie viel Gepäck zu befördern hatte, wurde die AWO zum reinen Gepäcktransporter degradiert (s. Foto). Schließlich waren insgesamt außer den Personen auch noch zwei große Steilwandzelte, acht Luftmatratzen, acht Schlafsäcke, zwei Campingkocher mit den zugehörigen Gasflaschen, Kinderspielzeug, entsprechende Kleidung sowie Konserven u. ä. mitzunehmen. Also insgesamt zwei tolle Fuhren, bei denen sich heute jeder Polizist die Augen reiben würde. Aber wir sind gut gelandet.

Am Sonnabendmorgen der ersten Urlaubswoche riefen unsere Freunde plötzlich den „familiären Notstand“ aus, denn die „Verhüterli“ waren alle! War es Fleiß oder ein Planungsfehler bei der Urlaubsvorbereitung? Da damals Geschäfte an den Wochenenden nicht geöffnet hatten, wurde der Entschluss zu einer „Herrenpartie“ nach Dresden gefasst, um die dort vorhandenen diesbezüglichen Reserven auf den Campingplatz umzulagern. Damit die Fahrt einen sportlichen Akzent erhielt, sollte mit der Sport-AWO, jedoch solo, gefahren werden. Die drei Anlenkpunkte des Seitenwagens waren schnell gelöst, und es ging mit der Maschine auf der Autobahn in Richtung Dresden. Zwei junge Männer, beide Motorradenthusiasten, und ein für damalige Verhältnisse großes Motorrad – da waren doch noch ein paar Stundenkilometer mehr drin. Alles ging gut, bis unser Vorwärtsdrang etwa 30 Kilometer vor dem heimatlichen Ziel abrupt gestoppt wurde und die Maschine nach einem hellen metallischen Aufschrei bei gezogener Kupplung auf dem Standstreifen ausrollte. Der Schreck stand uns sicherlich im Gesicht geschrieben. Aber wir hatten Glück; nach etwa zwanzig Minuten Besinnung und Abkühlung ließ sich der Motor tatsächlich wieder antreten (damals gab es bei den DDR-Motorrädern noch keinen Anlasser), und wir konnten die Fahrt fortsetzen. Allerdings ziemlich saft- und kraftlos und damit fernab unserer Geschwindigkeitswünsche. Aber wir erreichten schließlich doch das Ziel und packten die Produkte der Begierde ein. Dann ging es wieder auf die 150-km-Strecke in Richtung Spreewald, wo wir – noch zweimal vom Motor gestoppt – schließlich wieder auf dem Campingplatz landeten.

Als wir von unserer Misere berichteten, war die Freude natürlich riesig, dass wir mit heiler Haut und ohne Blessuren da­von gekommen waren. Zur Feier des Tages veranstalteten unsere Frauen ein Festessen, an das sich ein tüchtiger Umtrunk anschloss. Ausnahmsweise durften auch die Kinder noch aufbleiben (waren aber natürlich vom Umtrunk ausgeschlossen). Und so stieg langsam, aber stetig das Stimmungsbarometer und die Freude ins­besondere der Kinder war unbeschreiblich, als mit fortschreitender Stunde an den rings ums Lagefeuer gespannten Leinen immer mehr merkwürdig geformte, aufgeblasene Luftballons hingen!! Natürlich herrschte ab Sonn­tagmorgen bei unseren Freunden wieder „familiärer Notstand“.

Am nächsten Tag interessierte uns beiden Männer nun schließlich doch der Motor unserer AWO. Also den Zylinderkopf abgebaut und den Zylinder vorsichtig über die vier Stehbolzen nach oben abgezogen, und wir konnten – wie erwartet – die Kolbenringe in unterschiedlich großen Stücken aus den Kolbennuten heraus nehmen. Auch sah verständlicherweise die Zylinderinnenwandung nicht mehr ganz neu aus. Die nächste AWO-Werkstatt war damals wohl in Storkow. Also fuhren wir mit dem Trabi dort hin und klagten dem freundlichen Meister unser Leid. Er zeigte Verständnis, und wir erwarben käuflich neue Kolbenringe, erhielten gratis aber die Ermahnung „Reißt beim Zusammenbauen nicht die Stehbolzen ab!“ mit auf den Weg. Also machten wir uns voller Tatendrang wieder über den Motor her. Mit Samthandschuhen wurden die Kolbenringe in den Kolben eingesetzt, der Kolben vorsichtig in den Zylinder gefädelt, dabei der Zylinder auf die Stehbolzen gesteckt und zuletzt der Zylinderkopf aufgesetzt und mittels Stehbolzen verschraubt. Aber …. ein Stück geht noch! … und dann machte es „klick“ und ein Stehbolzen war abgerissen – wir hatten als Amateure natürlich keinen Drehmomentenschlüssel. Also mit hängenden Ohren nochmals nach Storkow. Der Meister war verständlicherweise nicht mehr ganz so nett, ließ sich aber schließlich doch erweichen, und wir konnten vorm Zelt die Motormontage, diesmal noch vorsichtiger, dafür aber erfolgreich beenden. Die 425S lief dann für den Rest des Urlaubs wieder fast normal. Später zu Hause musste natürlich der Zylinder ausgeschliffen werden, aber der Urlaub war erst einmal gerettet und verlief bei herrlichem Sommerwetter ohne Unfall – auch bei unseren Freunden.

Enkel Dirk Eckelt (Weißer Hirsch) schrieb: Mit der AWO über die Alpen – Anbei sende ich Ihnen alte Fotografien. Sie stammen von meinem Opa, der 1957 mit seinem Kumpel mit samt Zeltausrüstung auf der AWO 425 T über die Alpen zum Gardasee in Italien gefahren ist. Auf dem Foto ist mein Opa auf dem Motorrad,  im Hintergrund der Gardasee, zu sehen. Auf der Rücktour wurden sie an der Grenze so schwer kontrolliert, dass sie sogar die Hosen herunter lassen mussten… Foto: privat

Enkel Dirk Eckelt (Weißer Hirsch) schrieb: Mit der AWO über die Alpen – Anbei sende ich Ihnen alte Fotografien. Sie stammen von meinem Opa, der 1957 mit seinem Kumpel mit samt Zeltausrüstung auf der AWO 425 T über die Alpen zum Gardasee in Italien gefahren ist. Auf dem Foto ist mein Opa auf dem Motorrad, im Hintergrund der Gardasee, zu sehen. Auf der Rücktour wurden sie an der Grenze so schwer kontrolliert, dass sie sogar die Hosen herunter lassen mussten…
Foto: privat

Zwei Räder – Vier Takte im Johanneum

Als Augenzeuge der opulenten Ausstellungseröffnung schickte ein studierter Kfz-Techniker, unser Leser Klaus Gebhardt (Marienfeld), der als 75-Jähriger noch gelegentlich auf einem seiner Oldtimer-Motorräder sitzt, folgenden Leserbrief:

Zur Eröffnung am 11. Februar 2011 fanden im Vortragssaal des Verkehrsmuseums viele der Gäste keinen Platz, so groß war das Interesse am letzten Viertakt-Motorrad der DDR. AWO, das war für jeden DDR-Bürger ein Begriff, auch für Fußgänger und Radfahrer. Nicht so im westlichen Teil unseres Vaterlandes.

Der Direktor des Verkehrsmuseums, Herr Breuninger, gestand freimütig in seinen Einführungsworten, dass früher AWO für ihn lediglich „Arbeiterwohlfahrt“ be­- deutete. Herr Giesel als Kustos für Kraftfahrzeuge schilderte nicht nur die Entstehung dieser Bezeichnung (Sowjet-AG Awtowelo), sondern auch die wechselvolle Geschichte des Simson- Werkes in Suhl. Sie spiegelt eindrucksvoll die politische Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert, vom Kaiserreich bis heute.
Mit 26 Motorrädern und vielen Erläuterungen in der hervorragend gestalteten Ausstellung wird das „Kultmotorrad AWO“ gewürdigt, das schließlich 1962 der Zweitakt-Doktrin der DDR- Führung zum Opfer fiel. Ich war 1952 Mitglied der Motorsportgruppe der Sächsischen Zeitung, die nur über ein paar Vorkriegsmotorräder verfügte. Eines Tages bekamen wir eine funkelnagelneue AWO 425 und konnten nun an den Geländesport-Veranstaltungen der damaligen Zeit teilnehmen, z.B. an den alljährlich ausgetragenen „100 km durch die Dresdner Heide“. Ich startete auch beim 1. Motocross der Region auf einer AWO. Das hieß damals noch Querfeldeinrennen und fand auf dem Heller statt, der Start war vor den Deutschen Werkstätten in Hellerau. Mit der AWO entwickelte sich bald das Geländefahren zum Breitensport in der DDR. Internationale Spitzenleistungen erreichte die Suhler Werksmannschaft.

Für Straßenrennen hingegen taugte die AWO auf Grund ihrer Konzeption nicht besonders. Bei Simson entwickelte man deshalb spezielle Rennmaschinen mit total veränderter Konstruktion. Auch diese höchst seltenen Maschinen sind in der Ausstellung zu sehen, bewahrt und restauriert von privaten Enthusiasten. Unter den Besuchern der Eröffnungsveranstaltung waren viele Aktive und Prominente aus der Motorradszene der damaligen Zeit, und es gab Gelegenheit zu guten Gesprächen und einem Wiedersehen mit alten Bekannten.

Klaus Gebhardt 

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