Aus der Print-Ausgabe:
Interview mit Susanne Dagen vom BuchHaus Loschwitz
Seit 22 Jahren betreibt Susanne Dagen mit ihrem Mann Michael Bormann das BuchHaus Loschwitz auf der Friedrich-Wieck-Straße. Mehrfach wurde es als besonders herausragende Buchhandlung Deutschlands geehrt. Seit 2005 betreibt das Paar auch das benachbarte KulturHaus Loschwitz als geistig-kulturellen Ort des Austauschs. Im Mai 2016 im »Spiegel« und Ende März dieses Jahres in der »Zeit« erschienen Artikel, in denen Susanne Dagen als Pegida-nah bezeichnet wurde. Mit dieser oberflächlichen Bewertung fühlt sie sich stigmatisiert und spürbar existenziellen Einschränkungen ausgesetzt. Wir haben sie gebeten, sich in einem Interview dazu zu äußern.
Finden Sie sich wieder in dem, was der »Spiegel« und die »Zeit« über Sie geschrieben haben?
Natürlich nicht! Zumal die Zitate, die im »Spiegel« veröffentlicht worden sind, aus dem Kontext eines privaten zweistündigen Gesprächs gerissen wurden. Beide Artikel laufen auf eine sehr assoziative Lesart hinaus. Auch der »Zeit«-Artikel lässt zu viel offen. Da sind viele suggestive Wendungen enthalten und jedes Zitat, das ich autorisiert habe, wird hinterfragt. Man erfährt wenig über meine persönliche Meinung, aber viel über die Meinung der Autorin.
Trotzdem habe ich eine große Distanz dazu. Ich bin froh, dass es in der Welt ist. Vor allen Dingen, dass ich sagen konnte, dass es seit dem Erscheinen des »Spiegel«-Artikels einen ausgesprochenen Boykott gab. Dass es in einer demokratischen Gesellschaft, in der es Meinungsfreiheit gibt, möglich ist, wegen einer anderslautenden Meinung, die in einer Zeitung beschrieben ist und nicht hinterfragt wird, ausgegrenzt zu werden; das zu sagen war mir ein Anliegen. Mich dabei als wütenden, hasserfüllten, frustrierten Menschen darzustellen, das hat nichts mit mir zu tun. Mit dieser Lesart ist ein Klischee, eine Erwartungshaltung bedient worden.
In der »Zeit« wurde geschrieben, dass Sie mit Pegida sympathisieren.
Hierbei handelt es sich nicht um ein Zitat, sondern um eine Interpretation der Autorin. Ich sympathisiere mit denen, die seit zwei Jahren auf die Straße gehen. Wenn die Auseinandersetzung mit diesem Phänomen und das Ringen um Verständnis Pegida-nah ist, dann bin ich es. 2011 ist »Empört euch« von Stéphane Hessel erschienen, da haben alle gejubelt.
Man solle seiner Empörung Raum geben, man solle sich aufbäumen, sichtbar werden! Ich habe Achtung vor denen, die ihre Meinung sagen und ihr Gesicht in die Kamera halten. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass man Leute aufgrund ihrer Bildung, ihrer Herkunft, ihrer Ausdrucksform und ihrer Meinung stigmatisiert. Inzwischen haben verschiedene wissenschaftliche Studien belegt, dass es sich bei Pegida um eine heterogene Masse handelt, nach Prof. Patzelt auch um eine »thematische Gemengelage«.
Reagieren Sie bei Ihren Veranstaltungen im KulturHaus Loschwitz auf dieses Thema?
Ich habe seit Januar 2016 als Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen eine neue Lese- und Gesprächsreihe mit dem Titel »ZeitenBuch. Seitenweise Politik« ins Leben gerufen. Viermal im Jahr lade ich Autoren oder Publizisten wie Antje Hermenau, Michael Beleites und Hans-Joachim Maaz ein, sich mit ihren gesellschaftspolitischen Büchern vorzustellen. Diese Reihe habe ich mit einem Buch zum Thema Pegida begonnen.
Und damit ging eigentlich alles los. Denn mein damaliger Webbetreuer hat sich geweigert, diese Veranstaltung auf meine Internetseite zu stellen: Mit denen könne man nicht reden. Da habe ich gedacht: Jetzt erst recht. Da ist es ja noch notwendiger, sich dazu auszutauschen. Wir sind als unabhängige, nicht subventionierte Buchhändler in der komfortablen Situation, in der Auswahl und Gestaltung unserer Veranstaltungen frei agieren zu können.
Sehen Sie die Reaktionen auf die Veröffentlichungen als »Shitstorm«?
Ein »Shitstorm« fand überhaupt nicht statt. Ich fühle mich auch nicht als Opfer. Ich fühle mich in eine Schublade gesteckt und hätte mir einen Austausch genau darüber gewünscht. Nämlich, warum man sich dieser Schubladen bedienen muss und ob man in der Lage ist zu differenzieren oder man das gar nicht will. Oder ob die Erwartungshaltung besteht, dass ein Buchhändler links zu sein hat. Warum? Ich bin in einem konservativen Haushalt groß geworden. Wir pflegen ein sehr bürgerliches Leben, eine traditionelle Familienkonstellation. Insofern passe ich nicht ins Schema.
Im »Zeit«-Artikel war von einem Umsatzrückgang die Rede.
Wenn Sie Kundschaft haben, die dreimal im Monat kommt, und die bleibt weg, das ist signifikant. Die waren wie vom Erdboden verschluckt. Was ist das für eine Art, zumal es die gleichen sind, die für Respekt und Toleranz eintreten? Ich war erstaunt darüber, dass mehr reagiert als agiert wird, zumal wir zu vielen ein sehr herzliches Verhältnis pflegten.
Natürlich kann jeder selbst entscheiden, wo er einkauft. Doch wenn ein Fortbleiben darauf zurückzuführen ist, dass mir die Meinung von demjenigen nicht gefällt, die ich ja nur aus der Zeitung habe, mit dem ich noch nicht einmal geredet habe, und zum Boykott im Freundes- und Bekanntenkreis aufrufe, dann ist das Gesinnungspolitik. Auch der »Zeit«-Artikel ist im Endeffekt auf Denunziation und üble Nachrede zurückzuführen. Es gibt tatsächlich Leute, die schicken mir die Briefe über mich an die Medien in Kopie, weil sie sich im Recht fühlen.
Können Sie das Wort Pegida überhaupt noch hören?
In Bezug auf meine Person sehe ich bei dem Wort Pegida mittlerweile rot, weil ich nur noch darauf fokussiert werde. Mir sagen Leute, die es gut mit mir meinen: Verrenne Dich nicht! Aber eigentlich verrennen sich doch die anderen. Wie oft stand das Wort Pegida in dem »Zeit«-Artikel! Für mich ist Pegida vor allem ein Symptom eines gesellschaftlichen Prinzips, das an seine Grenzen gelangt ist.
Sie betonen, dass Ihr Eintreten um Verständnis füreinander apolitisch ist.
Ich bin keine Politikerin. Ich will mich weder irgendeiner Partei andienen noch einer Bewegung vorstehen. Das einzige, was ich will, ist Gerechtigkeit im Umgang miteinander. Dann muss es auch einen Raum geben, in dem man seine Meinung offen und frei äußern kann. Als Buchhändler sind wir dafür prädestiniert, unterschiedliche Meinungen zuzulassen.
Wenn man sich mit Literatur beschäftigt, ist es normal, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Da brauche ich keine aufgesetzte Empathie; sondern das ist etwas, was mein Leben begleitet. Die Frage, die sich letztlich stellt, ist doch eigentlich: Wie wollen wir miteinander leben, mit dieser Gemengelage, mit den unterschiedlichen Herkünften, Sozialisationen und Biografien?
Was sagen Sie zur Willkommenskultur in unserer Stadt?
Ich habe beobachtet, dass mit großem Engagement begonnen wurde zu helfen. Ohne die vielen Ehrenamtlichen wäre ein solch immenses personelles Aufkommen gar nicht zu bewältigen gewesen. Aber warum muss die große Hilfsbereitschaft erst so einen Anlass bekommen? Es gibt auch in Deutschland viele, die Hilfe benötigen. Warum widmet man sich denen nicht mit derselben Freude und Intensität? Es gibt das anerkannte und subventionierte Helfen, und das andere, eigentlich einen Akt der Mitmenschlichkeit.
Wenn ich höre, wir können doch so viel abgeben, wir sind doch ein reiches Land, dann fallen mir auf Anhieb zehn Leute ein, die nichts abgeben können, die am Monatsende höchstens ein paar Knöpfe in der Tasche haben und nicht, weil sie zu faul sind, arbeiten zu gehen, sondern weil sie mies entlohnt werden oder auf Stellen sitzen, die nur mit Werkverträgen oder Projektzuschüssen finanziert werden.
Zitiert werden Sie unter anderem mit der Aussage, Sie fühlten sich vom Frauenbild des Islam bedroht.
Auch das ist eine Interpretation. Natürlich fühle ich mich persönlich nicht vom Frauenbild des Islam bedroht. Aber ich denke auch an die nächsten Generationen von Frauen und Mädchen, die in unserem Kulturkreis eine andere, emanzipatorische Erziehung genießen. Ich bin viel gereist, gerade im arabischen Raum, und habe erlebt, unter welchen für uns fremden Bedingungen dort Frauen leben. Sich einzubilden, dass man jeden mit seinen Vorstellungen religiöser und kultureller Art in eine vollkommen neue Kultur integrieren kann, das ist in meinen Augen Selbstüberschätzung.
Und in welche Kultur überhaupt? Globalisierung? Gender? Wir sind ja nicht mal in der Lage, mit unseren humanistischen Traditionen umzugehen und ein Bildungssystem aufrechtzuerhalten, das auf eine Universalbildung hinausläuft.
Es heißt ja oft, bei diesen Themen gehe ein Riss durch Familien. Wie ist es bei Ihnen?
In der Familie nicht. Mein aus dem Westen stammender Mann hat mir viel geholfen, indem er mir berichtet hat, wie seine Generation erzogen wurde, auch in der Schule. Wir sind sogar näher zusammengerückt, was natürlich auch eine solidarisierende, eine emotionale Komponente in sich trägt. Im Freundeskreis sind manche nach 20 Jahren von heute auf morgen weggeblieben. Das tut weh, macht es doch eine freundschaftliche Beziehung auch aus, sich auf sachlich-argumentativer Ebene auseinandersetzen zu können und einander trotz unterschiedlicher Meinungen zu akzeptieren.
Haben sich die nachbarschaftlichen Beziehungen seit den Veröffentlichungen verändert?
Bei einigen hat es eine Weile gedauert, bis wir wieder reden konnten. Doch man hat so viel miteinander durchgemacht und sich geholfen. Wir haben ein freundschaftliches Miteinander. Gerade durch die Hochwasser-Erfahrung halten wir gut zusammen, gibt es Nachbarschaftshilfe. Manche Nachbarn haben gesagt: Du bist mutig. Aber ich halte mich nicht für mutig. Oder ist es jetzt schon wieder mutig, seine Meinung zu sagen? Dass ich damit meine Existenz aufs Spiel setze, damit habe ich allerdings nie gerechnet.
Was sind Ihre nächsten Projekte im KulturHaus?
Am 17. Mai wird Dr. Paul Kaiser vom Weißen Hirsch sein Katalogbuch »Weststrand und Elbhang – Dresdner Künstler an der Ostsee« vorstellen. Er hat vor Jahren bereits über »Boheme in der DDR. Kunst und Gegenkultur im Staatssozialismus« promoviert und nun ein Ausstellungsprojekt in Ahrenshoop betreut. Da freue ich mich sehr drauf. Uns wird ja hier am Elbhang immer nachgesagt, dass wir nicht über den Tellerrand schauen; die Lieblichkeit der Landschaft lädt ja gerade zum Hierbleiben ein, aber das ist natürlich mitnichten der Fall.
Unsere aktuelle Foto-Ausstellung »Menschen und Orte« über Räume, die von Künstlern wie Arno Schmidt, Ernst Jünger, Karl May und anderen als Arbeits- und Lebensorte genutzt worden sind, kann ich ebenfalls empfehlen. Sie ist noch bis Ende Juni zu sehen.
Interview: Cornelia Resik