Offener Brief von Paul Kaiser und Hans-Peter Lühr, Reaktionen von Susanne Dagen und Uwe Tellkamp

Uwe Tellkamp (links) und Hans-Peter Lühr im Ortsamt Loschwitz, Juni 2009. Foto: pixelfis.ch

Im ELBHANG KURIER November 2018 erschien ein offener Brief von Paul Kaiser und Hans-Peter Lühr an die Buchhändlerin Susanne Dagen – sowie ihre Antwort. Uwe Tellkamp reagierte nun ebenfalls auf den offenen Brief.

Mit Rechten plaudern… Offener Brief an die Buchhändlerin Susanne Dagen von Paul Kaiser und Hans-Peter Lühr

Liebe Susanne,
wir kennen uns lang und wir kennen uns gut, wir haben Dich oft verteidigt. Von Deinen neuesten Allianzen sind wir allerdings
schockiert und wollen Dir das öffentlich mitteilen, weil unser Konflikt viele Menschen in dieser Stadt betrifft.

Das BuchHaus Loschwitz hat auf seiner Internetseite seit gut drei Monaten eine neue Kooperation präsentiert, eine Diskussionsreihe mit dem Antaios-Verlag Schnellroda, einem einschlägigen Unternehmen der sogenannten Neuen Rechten – und so heißt auch Deine Reihe, die mit inzwischen drei Folgen auf YouTube zu besichtigen ist: »Aufgeblättert, Zugeschlagen. Mit Rechten lesen«.

Will man dem üblen Image des Verlages nicht ungeprüft folgen (was ist gemeint mit »zugeschlagen«?), muss man sich ein bisschen Mühe geben und z. B. obige Serie und die Internetseiten von Antaios und seiner Zeitschrift Sezession studieren. Außerdem ist auf YouTube diverses Material über den Verleger Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza und ihre Verflechtung in die rechte Szene zu besichtigen.

Beide sind versierte Denker, die freilich nicht nur Widersprüche der Gesellschaft reflektieren können, sondern offen einer rechten Revolution das Wort reden, einem generellen Umsturz der Verhältnisse, was sie dann folgerichtig an die Seite jener extremen Rechten führt (auch bei Pegida), die nicht mit der Feder, sondern mit Fäusten gegen die pluralistische Gesellschaft argumentieren.

Götz Kubitschek ist vermutlich den meisten Dresdnern durch seinen martialischen Aufruf, den Riss durch die Gesellschaft zu vertiefen, bei der Tellkamp-Grünbein-Diskussion im März im Kulturpalast in Erinnerung. Das alles hat eine düstere Aura. Mit denen also willst Du reden.

O.k., aber worüber? Über die Gründe zunehmend fremdenfeindlicher Stimmungslagen? Über die problematische rechte Theorie, der zufolge der Überlastung der modernen westlichen Gesellschaft nur mit verstärkter Abschottung und ethnischer Säuberung zu begegnen sei? Redet Ihr über den Erhalt der Demokratie oder deren Abschaffung? Redet Ihr über das problematische Verhältnis der rechten Szene zur Gewalt? – Nein, solche dezidierten Themen habt Ihr nicht im Programm, schon gar nicht in kritischer Absicht.

Vorerst präsentierst Du mit Ellen Kositza eine heitere Plauderstunde zur Literatur, die nur durch gelegentliche Seitenhiebe gegen die Linken rechtes Gedankengut berührt und insofern auf den ersten Blick fast harmlos daherkommt, ein bisschen wie Frühstücksfernsehen mit dem Sektglas in der Hand. Unser großes Unbehagen, liebe Susanne Dagen, ist Deine offene Solidarisierung mit dem rechten Spektrum der Gesellschaft. Dieser Prozess einer Radikalisierung hat seit Deinem Engagement für die AFD – dass Dich zum publizistischen Stelldichein mit Alexander Gauland wie zur Übernahme des stellvertretenden Kuratoriumsvorsitzes bei der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung führte – im nun ganz offenen Werben für neurechte Inhalte und Parolen einen kritischen Punkt erreicht.

Gemeint sind dabei nicht die kritischen Fragen an den Staat und seine Institutionen – die sind höchst notwendig – gemeint ist ihre Funktionalisierung für massive Ausgrenzung. Du baust dem Antaios-Verlag eine Dresdner Plattform und stellst Dich ohne jede Distanz in diese »Außenstelle« hinein – die Botschaft ist, Ihr gehört nun zusammen. Das ist in der Demokratie ebenso erlaubt, wie Antaios selbst; die Frage für die Unterzeichner ist keine rechtliche, sondern eine des Wirklichkeitssinnes (man kann auch sagen: eine Frage des Anstands).

Kein Wort über die reale Not von Flüchtlingen und über neokoloniale Abhängigkeiten als Fluchtgrund heute, kein Wort über das Rätsel einer Phantomangst vor Überfremdung in einer Landschaft mit drei Prozent Ausländeranteil. Diese ganze kompliziertkomplexe Situation kannst Du einfach beschweigen?

Mit unserer Podiumsreihe »Hanglage« haben wir seit 2006 viele gute gemeinsame Jahre in Deinem engagierten BuchHaus erlebt – das Spektrum Deiner Veranstaltungen war anspruchsvoll und weit gespannt, streitbar und zugleich von einer Offenheit gespeist, die viele Menschen unterschiedlicher Denkungsart und Herkunft produktiv zusammengeführt hat. Diesen liberalen Geist hast Du – wir meinen: ohne Not – aufgegeben. Warum? Wir waren bis ca. vor einem Jahr immer gern bei Dir, dann wurde es langsam unbehaglich – Deine heutige Positionierung ist uns verstörend und rätselhaft zugleich.

Vielleicht sollten wir unser Gespräch öffentlich fortsetzen. Zu den oben genannten Fragen kämen dann selbstverständlich jene Themen hinzu, die mit den Integrationshoffnungen engagierter Flüchtlingshilfe und dem schwierigen Kulturtransfair aus jener »Dritten Welt« verbunden sind, die seit 2015 unser Land massiv in Unruhe setzt. Unsererseits wäre das in Ordnung. Vielleicht sollten wir Dich auch einmal ins »Café Gustav« in der alten Niederpoyritzer Schule einladen, wo einmal im Monat ein zumeist sehr heiteres Zusammensein von Afghanen, Syrern und Irakern mit Kuchen backenden Bewohnern des Elbhanges stattfindet, und wo man eine andere Variante von »Bedrohung« real studieren kann: Freundlichkeit.

Bleiben wir im Gespräch?
Beste Grüße, Paul Kaiser und Hans-Peter Lühr


Susanne Dagen vor ihrem BuchHaus am Dorfplatz Loschwitz
Foto: Jürgen Frohse

Antwort von Susanne Dagen

Lieber Hans-Peter Lühr, lieber Paul Kaiser!
Falls Euer, an mich gerichtetes, Schreiben ein Wunsch nach einem öffentlich geführten Gespräch mit mir sein soll, komme ich diesem selbstverständlich nach. Die Dresdner Kulturbürgermeisterin Frau Klepsch
selbst sprach mir gegenüber von einer interessanten Debattenkultur am Elbhang, die mir bis dato verborgen geblieben war, sich nun aber offen zu erkennen geben kann. Ihr schreibt, dass »(…) unser Konflikt viele Menschen in dieser Stadt betrifft.«

Diesem im respektvollen Miteinander zu begegnen biete ich gern an.

Mit vielen Grüßen,
Eure Susanne Dagen


Antwort von Uwe Tellkamp auf den Offenen Brief von Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser an Susanne Dagen

Den im Elbhangkurier 11/18 veröffentlichten Offenen Brief von Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser an Susanne Dagen lese ich als Dokument. Ich äußere mich, da ich namentlich erwähnt werde, als Mitbetroffener, da anscheinend Mitgemeinter.

Die erste Frage, die sich mir stellt, unabhängig vom Inhalt, ist die nach dem Zweck dieser Veröffentlichung. Das Gesprächangebot soll dieser Zweck sein, behauptet der Brief; für mein Empfinden schwimmt das aber nur auf der Oberfläche der Rede – unter den Floskeln, der fast schon seelsorgerischen Bekümmernis meine ich Lust an der Maßregelung, an der Zurechtweisung, an der Strafe für Abweichlertum herauszuhören. Wie kommen Lühr und Kaiser dazu, welches Recht glauben sie zu haben, von Dagen öffentlich Selbstkritik zu fordern? Sollte ein Gespräch nicht von Angesicht zu Angesicht möglich sein? Das BuchHaus Loschwitz ist ein einladender, ohne Bannungsrituale betretbarer Ort; ich bin bei meinen vielen Besuchen noch nie auf die recht märchenhafte Düsternis gestoßen, die beide Autoren, sonst ausgewiesene Verteidiger der Aufklärungskultur, dort ausgemacht haben wollen.

Ihr Brief steht in langer Tradition. Vielleicht bin ich zu empfindlich und sehe Gespenster, dennoch: Dergleichen ist mir noch wohlvertraut, so – Klassenleitertadel, in Fürsorglichkeit gehüllt –, sprachen Funktionäre des Schriftstellerverbands gegen mißliebige Kollegen, sprachen Briefe gewisser »Werktätiger« in den gleichgeschalteten Presseorganen längst verblichen geglaubter Zeiten; ich dachte nicht, dergleichen je wieder lesen zu müssen.

Lühr und Kaiser operieren mit Signalworten, deren Gebrauch sich für Intellektuelle eigentlich verbieten sollte. Wer sich öffentlich äußert, müsse Widerspruch vertragen, heißt es. Wohl wahr. Jedoch: Lühr und Kaiser sehen die Verhältnisse als Verhältnis nicht. Betrachte ich den öffentlichen Diskurs, fällt mir bei bestimmten Themen immer wieder auf, daß Ursache und Wirkung vertauscht werden, erst neulich bei der Dresdner Debatte der Chefredakteure von ARD und ZDF mit Vertretern der AfD. Beide Chefredakteure beklagten sich, daß Journalisten aggressiv begegnet werde und unterstellten, daß diejenigen, die aggressiv gegen Journalisten aufträten, die Demokratie und die freie Presse abschaffen wollten. Nicht erwähnt wurden die vielen journalistischen Fehlleistungen, die vor den Protesten gegen Presse, Funk und Fernsehen lagen und erst zu Wut und Aggressivität geführt haben. Sachsen sind nicht qua Erbanlage presse- und demokratiefeindlich. Genau das wird aber implizite unterstellt, wenn man sich so manches Presse- oder Sendeerzeugnis ansieht. Ich belasse es hier bei dem Stichwort (inzwischen mit makabrem Zweitsinn) Chemnitz.

Wer ist es, der keinen Widerspruch verträgt? Oft habe ich den Eindruck, die politisch sich links oder bei den Grünen verortenden Tonangeber in weiten Teilen unserer Medien und unserer Kulturbranche sind es, nicht die paar rechten oder als rechts verschrienen Einmannunternehmen, die auf kleinen Blogs oder in kleinen Zeitschriften gegen die Wucht des Common sense anschreiben, wie ihn bei Themen wie Migration, Klimawandel, Europa, Trump Spiegel, Spiegel online, ZEIT, Zeit online, Süddeutsche, selbst BILD, vertreten, FAZ und Welt mindestens gespalten, Focus, taz, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Redaktionsnetzwerk Deutschland, das Regionalzeitungen wie HAZ, LVZ und DNN beliefert, Hamburger und Dresdner Morgenpost, Sächsische Zeitung usw., von Talkshows und überhaupt dem ÖRR zu schweigen. So zu tun, als wären die Kubitschek, Patzelt, Böckelmann, Dagen und Tellkamp die medialen Diskursbeherrscher, denen eine Minderheit aufrechter Demokraten zu widersprechen wagt, geht doch an der Realität völlig vorbei.

Wer grenzt aus? Wohin neigt die Berichterstattung (so es denn eine ist) der meisten Journalisten in den meisten unserer Medien, wenn Themen wie Migration, Heimat, Nation, deutsche Kultur angesprochen werden – nach links und grün oder nach rechts? Das ist keine bloße Ansichtssache, dazu gibt es Untersuchungen, sie zeigen die Schlagseite recht deutlich.

Sind aber sogenannte konservative Positionen wirklich das, was fortschrittlich sein wollende Stimmenfischer damit verbinden? Bedeutet Bekenntnis zur Nation wirklich schon Nationalismus? Ist der, der deutsche Kultur liebt und sich für ihre Bewahrung einsetzt, tatsächlich schon rechts, ein Nazi gar, wie nicht nur Publikationen wie »Bento«, Jugendableger des »Spiegel«, allzuoft nahelegen? Ist Weltoffenheit wirklich immer nur gut? Und der, der das Eigene nicht verachtet, verachtenswert?

War nicht der Zweifel, die Ungewißheit, die Suche nach Wahrheit in der unauslotbaren Ambivalenz der Erscheinungen einmal das Kennzeichen der Intellektuellen? Lühr und Kaiser behaupten, daß Kubitschek zur offenen Revolte gegen die Demokratie aufruft und legen, da sie Susanne Dagen mit ihm und seiner Frau Ellen Kositza in Verbindung bringen, nahe, daß Dagen dies ebenso will. Zumindest besteht nun der Verdacht, sie habe solche Absichten. Verdacht ist auch bequeme Feindmarkierung, immer mitgerechnet, daß für unkritische Geister selbst nach Zeit und Widerrede genug klebenbleibt, um der oder dem Verdächtigen in Zukunft fernzubleiben. Da mein Name in diesem Zusammenhang auftaucht, kann auch ich mich jetzt als einer derjenigen verstehen, die zur von Lühr und Kaiser beschworenen Düsternis am Elbhang beitragen. Kubitschek und die Produkte seines Verlags Antaios mag man ablehnen oder nicht – solange er sich an die herrschenden Gesetze hält (und das tut er bislang, soweit mir bekannt ist), sollte es zur Redlichkeit unter differenziert denkenden, an Standpunkten jenseits des Korridors interessierten und also wohl tatsächlich geistig offenen Menschen gehören, ihn nicht aus dem Diskurs hinauszustigmatisieren. Die »roten Linien« bestimmt immer noch das Strafgesetzbuch und nicht der Kotau vor dem Zeitgeist oder vor Fördermittelquellen.

Abschottung und Ausgrenzung: Gäbe es beides nicht, hätten wir nicht das Privileg, Menschen namens Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser begegnen zu können. Sie kamen beide nur mit Ausgrenzung und Abschottung zustande, ebenso ihre Werke. Schon der in einem Titel wie »Dresdner Hefte« enthaltene Anspruch grenzt aus. Es sind eben keine Trondheimer Hefte. Lösen wir uns von den primitiven, unbedacht verdammenden, eines Diskurses, der in die Tiefe gehen möchte und wirklich an Problemlösungen interessiert ist, unwürdigen Zuschreibungen.

Der Brief behauptet, Susanne Dagen habe ihre frühere Liberalität aufgegeben und lasse sich mit immer dunkleren Gesellen ein. Abgesehen davon, daß schon eine solche Zuschreibung, die ohne Belege auszukommen meint, nur als Flucht vor dem Argument verstanden werden kann – ich sehe und kenne Frau Dagen anders: Sie bietet Positionen einen Ort, die anderweitig kein Podium mehr finden, und zwar nur deshalb nicht mehr finden, weil sie mit Attributen behängt werden, die ein Großteil unserer Kulturschaffenden und -beflissenen als anrüchig empfindet oder glatt ablehnt. Oft nur aus intellektueller Faulheit, Angst vor Liebesentzug, durchaus vorhandener Interessen wegen oder Ranküne. Dagen hat sich entschieden, sich hier nicht billig einzureihen, das empfinde ich ganz im Gegensatz zu Lühr und Kaiser als mutig, als frei, als eigentlich liberal – wie gesagt, die Grenze zu dem, was nicht mehr diskutiert und getan werden darf, zieht immer noch das Strafrecht, nicht die Moral einiger Edelignoranten in Kirche, Kultur, Medien, die glauben, auf den »Pöbel« herabblicken zu müssen, nur weil er eine andere Meinung über Leben und Welt hat. Dagen hat sich sehenden Auges, was die Konsequenzen betrifft, dazu entschlossen, den Diskurs offenzuhalten, immer wieder und übrigens in alle Richtungen offenzuhalten. Dafür verdient sie, meine ich, nicht die groteske Kritik, die Lühr und Kaiser für angemessen halten, sondern eine Auszeichnung.

Der Elbhangkurier nun positioniert den Brief zwar auf der Leserbriefseite, läßt aber in verschiedenen Beiträgen – dieses Hefts und vergangener Nummern – seine Sympathie für die von Lühr und Kaiser dargelegte Sicht erkennen. Zur journalistischen Sorgfalt würde es gehören, sich auch mit den Argumenten der so bezeichneten »anderen Seite« vorurteilsfrei auseinanderzusetzen. Leider kann ich auch nur das Bestreben danach, wenigstens das, nicht erkennen. Im gleichen Heft äußert sich Prof. Ehninger auf viel Raum aufschlußreich und überraschend inhuman über Gesunde und Kranke in unserer Gesellschaft; der Stil dieser Passagen ähnelt dem gewisser Einweisungsschreiben in sowjetische Psychiatrien. Keine Nachfrage von der Redaktion, kein Kommentar, kein Stutzigwerden beim Wortgebrauch, kein Innehalten, Nachdenken.

Man weiß offenbar Bescheid über Gut und Böse und meint, der Gedanke, man könne ein Problem mit Zuwanderung haben, obwohl sie, wie Lühr und Kaiser erwähnen, hier nur etwa drei Prozent betrage, sei der verwirrter Hirne. Abgesehen davon, daß argumentative Schlüssigkeit solche Prozentangaben nach Alterskohorten differenzieren und so demographische Entwicklungen mitbedenken würde, schauen viele Dresdner dorthin, wo die Zuwanderung nicht mehr drei, sondern dreißig Prozent beträgt. Was sie dort wahrnehmen, erscheint vielen eben nicht als zuträglich für eine Demokratie nach unseren Regeln, die von gegenseitigem Respekt, von der Einhaltung gewisser Sitten, friedlicher Konfliktlösung, vom Recht und eben auch von Grenzen lebt, weil nur Grenzen einen Staat und damit die von ihm zu verteilenden Sozialleistungen erhalten. (No border, no welfare.)

Damit es keine Mißverständnisse gibt: Rassismus darf keinen Platz haben, wer an Leib und Leben bedroht wird, dem muß nach Kräften geholfen werden, im Sinne des Gesetzes und des Mitleids, gerade Deutschland hat hier eine Verantwortung, ja, Pflicht. Zu diskutieren aber muß darüber möglich sein, ob wir in der Lage sind und sein wollen, allem Elend dieser Welt abzuhelfen. Ob das Elend dieser Welt tatsächlich nichts als eine Last aus kolonialer Vergangenheit ist, für die Europa in Form von Zuwanderung nun eine Art von Buße tun muß. Ob wir nicht nur Flüchtlingen helfen, sondern auch Migranten, die in Deutschland nicht in allererster Linie Zuflucht vor Verfolgung suchen, sondern das Land als Verheißung einer besseren Zukunft sehen, und nicht in dem Sinne bedroht sind, wie es Asylgesetzgebung und Grundgesetz formulieren. Ob wir unser Land und unsere Kultur einfach preisgeben wollen. Sie wird aber preisgegeben, wenn sich die Einwanderung in den bisherigen Größenordnungen fortsetzt, und bis jetzt tut sie das, entgegen anderslautender und beschwichtigender »Narrative«. Jeder Zuwanderer bringt sein Herkommen mit, seine Kultur; die oft beschworene Integration, gar Assimilation ist, blickt man auf die inzwischen etablierten Parallelgesellschaften, mehr Wunschdenken als Realität.

Die von Lühr und Kaiser zum Kennenlernen empfohlenen netten Menschen im Café Gustav sind gewiß nicht die, die in Freiburg, Offenburg, Kandel, Köln und Chemnitz Einstellungen zu ihren Gastgebern offenbaren, die viele Menschen nicht von ungefähr empören. Haben #unteilbar und unsere Feministinnen gegen die Vergewaltigungen protestiert? Gegen die inzwischen alltäglich gewordenen Messerstechereien? Ich kann mich nicht erinnern. Und gab es nicht einen Artikel im Elbhangkurier, der davon sprach, daß das Gustavheim wegen Problemen vorübergehend geschlossen werden mußte? Es ist alles also leider nicht so einfach. Und nur, weil Dagen und ich uns erlauben, nicht mit Scheuklappen durch unsere Wirklichkeit zu gehen, sind wir nicht zum Abschuß freigegeben oder zum »Widerspruch«, der in Wahrheit meist ja keiner im Sinne der so oft beschworenen Gesprächskultur ist, sondern gerne gleich seine extremste Form als Pranger annimmt.

Ernstgemeinte Gesprächsangebote, lieber Hans-Peter Lühr und Paul Kaiser, sehen anders aus als Ihr Offener Brief. Sie beginnen nicht mit Tribunalen, auch nicht mit solchen aus Wohlwollen, und nicht mit der Handreichung vor ein Moralgericht.

Uwe Tellkamp

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