Angesichts der Hegenbarth-Zeichnung „Christus predigt in den Trümmern“ (Seite 11) sandte uns die in Pittsburgh/USA lebende Dichterin, Eurythmistin und Performerin Gail Langstroth ein von ihr geschriebenes und übersetztes Gedicht „In Ash there is a Miracle: Ode to Dresden“, das jetzt als „Leserbrief“ ausnahmsweise auf der März-Internetseite zu finden ist (als ein Nachtrag zum diesjährigen Dresdner Gedenken).
Sie hatte das Gedicht – in englischer Version – selbst vorgetragen, als sie im Dezember 2019 in Dresden ihren 70. Geburtstag feierte. In den 1990er-Jahren wohnte sie drei Jahre auf dem Weißen Hirsch und knüpfte hier zahlreiche Kontakte.
Bei der Übertragung der englischen Originalfassung ins Deutsche wirkten Dr. Eva-Maria Simms/USA und Friedrun Melichar/Dresden mit.
Die vom Bildhauer August Schreitmüller geschaffene Skulptur der Bonitas/Allegorie der Güte steht seit 1910 auf dem Dresdner Rathausturm.
In der Asche ist ein Wunder: Ode an Dresden
von Gail Langstroth/USA
Ich gehe über die Augustus Brücke
Wie oft habe ich diese Brücke
Überschritten, früher wohnte ich
Hier
Die Sonne hebt weiße Vögel von schimmernder Elbe
Wie geschmolzen, sagte Ingrid, sie war fünf in der Nacht
Als die Amerikaner und Engländer
Dresden
Ausbombten. 4000 Tonnen Phosphorbrandbomben
Machten Fackeln aus menschlichen Leibern
Das Geschrei, Ingrid hört es noch
Heute
Ingrid, an den Händen von Mutter und Bruder
Rannte Schreiend Geschmolzene Feuerkugel
Die ganze Stadt
Loderte
Tonnen von Menschenknochenmehl im Boden
Hier hat mein Gang Gewicht
Wie du mich immer grüβt, Stadt Du, zerbombte
Von meinem Land vor meiner Geburt
Ingrid wird im Januar 80
Ihr Rückgrat geschrumpft, 15 Zentimeter kürzer
Trotz Schmerz Ingrid steht auf
Jeden Morgen und streckt sich, stellt sich vor
Licht flutet durch meine
Knochen
Ein Gewand aus Schimmern reiht sich sanft
Mit meiner Erinnerung
In der Asche ist ein Wunder
Einmal
Sah ich eine alte Frau
Aufschauen als Bach’s
In dulci jubilo füllt die Kuppel der
Frauenkirche
Ihre Wangen weich
Rund wie Raphaels sinnenden
Cherub unter der Madonna mit
Ihrem Kind
St. Barbara, St. Sixtus
Ich wachte in der Nacht
Als die Elbe die Ufer durchbrach
Die Jahrhundertflut von 2002
800000 Sandsäcke
Ein Wächter betrat die Gemäldegalerie
Alte Meister, zog die Madonna
Mit ihrem Kind an Ketten
Über
Die wachsende Flut. Ich erinnere mich
An den ewigen Regen, ich wohnte in einem
Turm über der Stadt, keiner konnte
Schlafen
Menschen stellen sich vor die Madonna
Tun, als ob sie Raphaels Cherubs wären
Kopf geneigt, Ellbogen gebeugt, Finger an den Lippen
Ich
Denke oft, dass ein Gemälde lebt
Eine Biografie hat, wer’s gemalt hat
Warum, wann, und wo es nun hängt
Erhoben
Über Asche und Flut
Über Feuer und Wasser
Ein neues Jerusalem
Sinkend
Ich will meinen 70. Geburtstag mit Dir
Dresden, feiern, ich will, dass meine Freunde
Deine gepflasterte Stadtseele begehen
Sich vorstellen, wie die Reihen der Frauen
Die Ziegel und Ziegelschutt scheuerten
Eimer voll Staub und Schrott und Schreitmüller‘s
Bonitas über Deinem goldenen Barock
Engel, Ritter, Wasserspeier, die mich reinigen, ich
Fühle
Knochenerde, heilige
Asche, Feuer, Wasser
Schimmernd
In Ash There is a Miracle: Ode to Dresden
by Gail Langstroth/USA
I walk across the Augustus Bridge
I can’t count the number of times
I’ve crossed this bridge, I used to live
Here
Sun lifts white birds from Elbe’s shimmering
Molten, Ingrid said, she was five the night
American and British forces attacked
Dresden
4,000 tons of incendiary phosphorus
Bombs turned human bodies into torches
Das Geschrei, Ingrid hears it
Today
Ingrid held hands with her mother and brother
Ran Screaming Molten Fire Balls
The entire city
Flaming
Tons of human bone meal in the ground
There is meaning in my walking
How you always greet me, city, bombed
By my country before I was born
Ingrid turns 80 in January
Her spine shrank, 15 centimeters shorter
The pain, but Ingrid gets up
Every morning to stretch, she imagines
Light streaming through my
Bones
A cloak of shimmering shares gentle
With my remembering
In ash there is a miracle
Once
I saw an elderly woman
Peer upward as Bach’s
In dulci jubilo filled the dome
Church
Of Our Lady, the woman’s cheeks soft
Round like Raphael’s musing
Cherubs below the Madonna with
Her Child
St. Barbara, St. Sixtus
I witnessed the night the
Elbe rose, century flood of 2002
800,000 sand bags
A guard entered the Gallery of Old
Masters, hoisted chains to
Raise The Madonna and her Child
Above
Rising waters, I remember
Incessant rain, I lived in a renovated
Tower above the city, no one could
Sleep
People pose in front of the Madonna
Try to look like Raphael’s cherubs
Tilted head, elbows bent, a finger to lips
I
Often think that a painting is alive
Has a biography, who painted it
Why, when, and where it hangs now
Raised
Above ash and flood
Above fire and water
A New Jerusalem
Sinking
I want to celebrate my 70th birthday
Here with you Dresden, I want my friends to
Meet your cobbled city-soul
Imagine the rows of women clearing
Brick by rubble brick, bucket by dust
Bucket, the Schrott, and Schrietmüller’s
Bonitas above your golden Baroque
Angels, Knights, Gargoyles polish me I
Feel
bone soil, hallowed
ash, fire, water
Gleaming
Gail Langstroth, 2019
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