Auszug aus der Rede zur Ausstellungseröffnung Peter Makolies

In der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister hängt ein Gemälde von Jan Davidsz de Heem, „Memento mori. Ein Totenkopf neben einem Blumenstrauß.“ Gemalt bald nach der Mitte des 17. Jahrhunderts. Prachtvolle Blumen, einige von Insekten benagt und dem Verblühen nahe, in gläserner Vase auf einem Tisch aus Stein; und rechts am Rand des Bildes liegt auf diesem Tisch das glänzende Gehäuse einer großen, exotischen Meeresschnecke.

Dahinter, und von diesem Gehäuse der Perlmutter-Schnecke fast ganz verdeckt, bemerken wir erst bei genauerem Hinsehen einen ins Profil gedrehten, von Efeu umrankten Toten-Schädel. Schneckengehäuse und Schädel liegen auf einem gemalten, knittrigen Blatt Papier mit der Signatur des Künstlers und den beiden Worten: „Memento Mori.“ Denk an den Tod. Ein Vanitas-Stillleben also, wie sie im Barock häufig waren. Hinweis auf Vergeblichkeit und Vergänglichkeit alles Irdischen: Denk an den Tod, auch in der Blüte des Lebens.

Die unterschiedlich großen Schädel-Skulpturen von Peter Makolies konfrontieren uns unverblümt mit dem Tod: Ohne Rosen, Tulpen, Nelken, ohne Lilien und Efeu; sie bleiben auch nicht halb im Verborgenen, sondern sind einzeln auf Sockel gestellt und behandelt, wie sonst Bildnis-Köpfe. Man erwartet Leben und begegnet dem Tod.Würde man Steine wie diese in einem prähistorischen Gräberfeld finden, man könnte sie für Kultbilder halten aus fernster Vergangenheit – und aus erdgeschichtlicher Vergangenheit kommen sie ja auch her, die meisten dieser Steine, denen der Bildhauer die Form von Schädeln gegeben hat.

Manchmal angeschlagen schon vor der Bearbeitung, tragen sie tatsächlich Spuren des Entstehens und Vergehens an sich – und mit solcher natürlichen Gegebenheit hat sich Peter Makolies als Bildhauer auseinander gesetzt: Es offenbart sich in diesen Werken ein Dialog des Künstlers mit dem Tod – und gleichzeitig seine Zwiesprache mit dem Stein. Wir stehen vor Bildwerken mit geradezu magischer Ausstrahlung.

Peter Makolies, „Feldstein“ 2014 Höhe 76 cm

Peter Makolies, „Feldstein“ 2014
Höhe 76 cm

Augenhöhlen, halbkugelförmig nach Innen gewölbt. Die Nase als Öffnung, wie ein hohler Tropfen, mit der Spitze nach oben, ein umgekehrtes, sehr in die Länge gezogenes Herz. Verblüffend auch und unübersehbar die beinahe lückenlosen, fest aufeinander gepressten Zahnreihen von Oberkiefer und Unterkiefer. […]

Der Schädel und/oder seine Darstellung war […] bereits in der Antike, ja in beinahe allen Kulturen und Epochen bis heute Gegenstand der künstlerischen Darstellung – und immer symbolisch aufgeladen. […]

Ein kleiner Elfenbein-Anhänger an einem Rosenkranz, also an einer Gebetsschnur, entstanden im frühen 16. Jahrhundert, aufbewahrt im Metropolitan Museum of Art in New York, nimmt ein Motiv vorweg, das Peter Makolies in Marmor und weit größer ausgeführt hat: das halbierte Gesicht, eine Seite Abbild des lebendigen Kopfes, andere Seite ein Toten-Schädel. […]

Niemand hat das Spannungsverhältnis zwischen möglichem Lebensgenuss und dem Bewusstsein der Vergänglichkeit, besser ausgedrückt als der Dichter Angelus Silesius, der im 17. Jahrhundert geschrieben hat: „Mein bester Freund, mein Leib, das ist mein ärgster Feind; / Er bindt und hält mich auf, wie gut ers immer meint. / Ich hass und lieb ihn auch, und wenn es kommt zum Scheiden, / So reiß ich mich von ihm mit Freuden und mit Leiden.“

Begonnen hat Peter Makolies vor weit mehr als zehn Jahren, Feldsteine zu bearbeiten, Steine, die er gefunden hat. Entstanden sind anfangs Köpfe. Manche wirken, als wären sie Kultbilder aus romanischer Zeit: König David, Schmerzensmann, Prophet und Jünger.

Ein monumentales, beeindruckendes Zeugnis für seine Art, Steinen Kopfgestalt zu geben, ist jetzt im Garten vor dem Dresdner Stadtmuseum platziert, in der Wilsdruffer Straße: Der Kopf wächst gleichsam aus dem Boden heraus, so, als käme er ans Licht aus einer früheren Zeitschicht, die bisher verschüttet war. […]

Die Arbeiten, die Peter Makolies hier ausstellt, sind beinahe alle auf der Insel Usedom entstanden, in Warthe oder in Liepe, wo der Bildhauer in den Sommermonaten oft wochenlang lebt und arbeitet.

„Es sind […] Köpfe aus Granit, aus Monolithen, die er in Tagebauen fand oder auf der Insel Usedom.“ So schrieb Matthias Flügge 2006, [noch bevor die ersten Schädel-Skulpturen entstanden waren] und er fuhr fort: „Im ersten Blick archaische Bilder des monumentalen Versunkenseins, die wir ozeanischen oder indianischen Kulturen zuordnen möchten.“

Zwar geht die Wirkung der bildenden Kunst immer vom Sichtbaren aus, aber sie zielt auch auf das, was die Oberfläche nur ahnen lässt, was sie selbst bei aller möglichen Schönheit, oder auch erschreckenden Deutlichkeit, vielleicht sogar verbirgt oder verschlüsseln soll: auf das Wesen und die Seele der Dinge, auf die Hoffnungen oder auf die Ängste dessen, der das Kunstwerk geschaffen hat.

Wenn von diesen Schöpfungen Kraft ausgehen kann und Faszination für uns, wenn den Steinen durch die Arbeit des Künstlers, durch den Meißel des Bildhauers, angesichts des Todes Leben aufgeprägt und eingehaucht wird, dann berührt Materie Geistiges, dann ahnen wir im Stein und durch den Stein – Verborgenes.

Aber der Stein selbst ist es auch, der seine Forderungen an den Bildhauer stellt. Er inspiriert ihn und regt ihn an, verlangt schon von sich aus nach einer bestimmten Form. Emotional hoch aufgeladen sind diese Steine, die Schädel darstellen, spannungsreich in den Volumen, den Flächen und den Linien und gleichzeitig voll innerer Harmonie, überzeugend und stimmig.

Nur: Anatomische Richtigkeit darf man nicht erwarten. Hier geht es um Kunst – nicht um Schädel-Lehre.

Peter Makolies kommt bei seinen Arbeiten wirklich vom Material her, vom Stein. Der 1936 in Königsberg in Ostpreußen Geborene hat in den Jahren von 1953 bis 1956 in Dresden im Lehrbauhof Zwinger seine Ausbildung zum Steinbildhauer gemacht, hat in dieser Zeit an der Volkshochschule Zeichenkurse besucht – gemeinsam mit seinen Malerfreunden Ralf Winkler (das ist A. R. Penk) und Peter Herrmann; und ihr Lehrer war Jürgen Böttcher (der sich als Künstler Strawalde nennt.)

Was diese Zeit für Makolies bedeutet hat, das fasste Jörg Sperling so zusammen: „Der junge Bildhauer arbeitete damals an der Ausführung von Sandsteinkopien nach barocken Figuren; und die ihn täglich umgebenden, pathetisch schwellenden Formaufgipfelungen reizten zur Entgegnung. Er griff nach naiv archaisierender, blockhafter Gebundenheit.“

Hier möchte ich Peter Makolies selbst zitieren, der geschrieben hat: „Nur Wenigen ist es gegeben, die unbelasteten Werte kindlicher Zeichnung ins Leben zu retten. – Vielleicht ist der Kreis geschlossen, wenn das Ende dem Anfang gleicht.“

Solche Gedanken haben auch die damals modernen Künstler in Paris am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigt; und dass auch die Darstellung des menschlichen Schädels damals eine Rolle gespielt hat, beweist unter anderem eine gemalte Schädelpyramide von Paul Cezanne, die sich in Privatbesitz befindet. Man scheut sich, ein solches Bild Stillleben zu nennen. […]

Von 1961 an war Peter Makolies in Dresden freiberuflich als Bildhauer tätig, auch für die Denkmalpflege. Schon 1961 und 1962 konnte er in Berlin ausstellen, an der Akademie der Künste. Schnell hat er sich einen Namen gemacht: Jeder Dresdner kennt beispielsweise die Eck-Masken am Funktionsgebäude der Semper-Oper, die 1984 nach ihrem Wiederaufbau eröffnet werden konnte.

In den achtziger Jahren konnte er mehrfach in den Marmor-Steinbrüchen von Carrara arbeiten und er hat auf der Biennale ausgestellt, in Venedig.

Schon vor mehr als 10 Jahren sagte Peter Makolies von sich und von den Künstler-Freunden, mit denen er sich in gleichem Streben verbunden fühlte: „An klassisch-griechischen Abbildungen vorbei, bewegen wir uns wieder der wunderbaren, naiven Ungeschicklichkeit
und der geheimnisvollen Symbolik uralter Zeiten entgegen.“

Damals hatte die Arbeit mit – und an den Feldsteinen gerade erst begonnen, die ihn nun zu den Schädel-Skulpturen geführt hat; aber von allen diesen Steinen kann man sagen: Die Symbolik uralter Zeiten wird in ihnen, in diesen abgeschliffenen Steinen, die durch Naturgewalt vor Urzeiten zu uns gekommen sind, im Material selbst verkörpert – und durch die Hand und den Meißel des Bildhauers neu ausgeformt. […]

Erinnern wir daran: Riesige Steine, von der Eiszeit in den deutschen Norden geschoben, haben schon die Romantiker in Dresden beschäftigt, haben Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus beispielsweise, in ihren Bann gezogen. Als Ausdrucksträger wurden sie in die romantische Bildwelt übernommen. […]

Auf eines soll noch besonders hingewiesen werden: Im bisherigen Werk von Peter Makolies hat das Weibliche eine dominierende Rolle gespielt. Busen türmt sich auf Busen bei manchen von diesen mondänen, ja selbst monumentalen Marmor-Werken, die zwischen preziöser Geziertheit und antik-orientalischen Fruchtbarkeitskulten zu vermitteln scheinen.

Es ist, als wäre diese Faszination des Weiblichen ganz vergessen; die Feldsteine, auch die zu Schädeln geformten, fordern Anderes.

Die Eiszeit hat Steine zu uns herüber geschoben aus Skandinavien. Die sind, durch ihre weite Reise mit den Gletschern, rundlich und glatt poliert. Peter Makolies befragt sie, diese Steine, nach ihren skulpturalen Möglichkeiten; Augenblick und Ewigkeit begegnen sich, Gegenwart und fernste Vergangenheit.

Am Anfang dieser Gedanken zu den Schädel-Skulpturen von Peter Makolies stand der Hinweis auf ein Vanitas-Stillleben von Jan Davidsz. de Heem in der Dresdner Gemäldegalerie. Am Ende sei eine Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz erwähnt, die erst im Februar dieses Jahres zu Ende gegangen ist: Andy Warhol / Death and Desaster.Tod und Katastrophe.

Dort hing ein beinahe 2 x 2 Meter großes Bild, Acryl und Siebdruck auf Leinwand, mit der Darstellung eines ins riesenhafte vergrößerten Toten-Schädels, in Gelb und Schwarz auf Grau vor Grün – und (wie der Zettel als Unterlage bei de Heem) – auf einem pinkfarbenen Fleck.

Ohne jeden Versuch einer Deutung sei nur darauf hingewiesen: Der Schädel in der Kunst ist ein Thema, das nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch eine Gegenwart, und ganz bestimmt auch eine Zukunft, ein Thema, das uns angeht, mehr, als wir gemeinhin denken; und wenn wir nach dem Sinngehalt und nach dem Besonderen in diesen Werken von Peter Makolies fragen, dann ist es, nach meinem Empfinden, das feste Vertrauen darauf, dass hinter den vergänglichen Einzelformen der sichtbaren Welt, hinter den Überlieferungen der Geschichte und den Traditionen der Religion, sich ein Ewiges verbergen, aber in diesen Formen auch offenbaren kann.

Harald Marx

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