„Des Pudels Kern ist die unterschiedliche Sichtweise zur Rolle des Straßenverkehrs in Dresden“

Interview mit Stadtrat Dr. Böhme-Korn (CDU) zum Brückenstreit

Im Monatsjournal EINBLICKE (Juli/August 2008) der Dresdner CDU-Stadtratsfraktion beklagt sich Stadtrat Dr. Georg Böhme-Korn, dass ihm von der UNESCO trotz rechtzeitiger Antragstellung die Teilnahme an der Sitzung des Welterbekomitees in Quebec/Kanada verwehrt wurde. Andererseits wäre „der Brückengegner Prof. Weber (siehe EHK 8/2008, d. R.) … unbeschwert von jedem demokratischen Mandat, … mit offenen Armen“ empfangen worden. Diesen „Ungereimtheiten“ und diesbezüglichen Lesermeinungen möchte der Elbhang-Kurier nachgehen und befragte deshalb den stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, Herrn Dr. Böhme-Korn.

Elbhang-Kurier: Herr Dr. Böhme-Korn, im Auftrag verschiedener Bürgerkomitees reiste Professor Dr. Ralf Weber (TU Dresden) im Juli nach Quebec, um dort die Vorstellungen der Tunnelbefürworter und Brückengegner darzulegen. Dabei berief er sich auch darauf, „als Stimme von 55.000 Dresdnern zu sprechen, die sich mit ihrer Unterschrift für einen welterbeverträglichen Tunnelkompromiss eingesetzt haben“. Weshalb sprechen Sie ihm dennoch jegliche demokratische Legitimation ab?

Dr. Böhme-Korn: Es ist ganz einfach: ich habe nicht von Legitimation, sondern von demokratischem Mandat gesprochen. Ein demokratisches Mandat hat für mich Derjenige, der in „allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen“, wie es im Grundgesetz heißt, zum Volksvertreter gewählt wurde. Selbstverständlich haben auch Vertreter von Interessengruppen, die ohne formale Wahl, auf welche Weise auch immer, bestimmt wurden oder sich einfach berufen fühlen, ein gutes Recht, in Entscheidungsprozessen gehört zu werden. Ein demokratisches Mandat aber, das haben sie nun mal nicht. Darüber hinaus sollte man die 137 000 Dresdner nicht vergessen, die für die Brücke stimmten – auch die haben natürlich ein Recht, gehört zu werden.

Und selbstverständlich hab‘ ich kein Problem mit Interessenvertretern, wenn sie denn seriös agieren. Aber auch das kürzliche Interview im EHK zeigt wieder: Prof. Weber ist wohl nicht gewillt, im Kampf gegen die Brücke auf Verdrehungen von Tatsachen zu verzichten: Natürlich muss keiner beim eignen Außenministerium eine Teilnahme an einer Sitzung des Welterbekomitees beantragen – das würde in manchen Staaten den Sinn der Teilnahme unabhängiger Organisationen konterkarieren, natürlich waren die Gutachter bereits 2003 über die Brücke bestens informiert – der Hauptgutachter von ICOMOS hat das auf einer angekündigten und für Jeden zugänglichen Veranstaltung am 13. Juni 2007 an der TU Dresden ausdrücklich bekräftigt, und den dortigen Beitrag von Frau Friedrich kann man auf unseren Internet-Seiten finden, und natürlich kann sich der Freistaat nicht über Recht und Gesetz erheben und einen von den zuständigen Behörden nach sorgfältiger Prüfung, man weiß Gerichte ja im Hintergrund, als rechtswidrig eingestuften Bürgerentscheid zulassen.

Doch die Autobahn nach Prag hat uns gelehrt: spätestens in drei Jahren sind solche Mätzchen nur noch Fußnoten in der Geschichte. Wer weiß heute noch, dass es auch bei diesem Bau eine Baumbesetzung gab? Dass eine „Initiative gegen die Verletzung ökologischer Kinderrechte“ (!) um Verständnis bat, „wenn wir weiterhin für die Geschichtsschreibung festhalten, wo auch Kommunalpolitiker ihrer Verpflichtung, Schaden vom Volk abzuwenden, bislang nicht gerecht werden“? Und dass ein gewisser Ingolf Roßberg – Verkehrsexperte – schrieb: „Aus dieser Sicht entpuppen sich fast alle Argumente für eine Autobahn A 17 als „Killerphrasen“ … Es stehen heute … genügend Daten zur Verfügung, um fundiert nachzuweisen, dass das Projekt der A 17 … gänzlich unnötig ist“? Die Geschichte breitet gnädig ihren Mantel über solche Kuriositäten. Also sag‘ ich auch in diesem Falle mit Mephisto mild: „kurz und gut, ich gönn‘ ihm das Vergnügen, gelegentlich sich etwas vorzulügen?

Da Sie vom UNESCO-Welterbezentrum auf „unfeine“ Art „ausgeladen“ wurden, benennen Sie diese Verfahrensweise als „getürkte Sache“ und bescheinigen Herrn Bandarin, dem Chef des Welterbezentrums, ein „nicht zu bändigendes Überlegenheitsgefühl“ und „Kreuzzugsmentalität“. Hat Herr Bandarin nicht ebenfalls ein legitimes Mandat?

Das ist ein Missverständnis. Die Ausladung war arrogant und ihre Art und Weise „fläzig“ wie wir Sachsen sagen würden. Feinsinnige Kulturbeflissene, mit dem Urteil über das Weltkulturerbe betraut, sollten sich ein bisschen mehr einfallen lassen – nach Wilhelm Busch: „da lob‘ ich mir die Höflichkeit, das zierliche Betrügen …“.

Aber „getürkt“ nenne ich die Sache aus ganz anderen Gründen: Im Verfahren wurde ganz bewusst gravierend gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen. Leider lässt sich das in der gebotenen Kürze nicht im Einzelnen darstellen. Nur drei Beispiele: Gegen die eignen Regeln völlig ungeprüft stand in der Vorlage zur 30. Sitzung, dass die Brücke den zentralen Teil der Innenstadt beeinträchtige – dazu muss man Dresdnern nichts sagen. Oder in der Sitzung wurde ICOMOS zitiert mit der Behauptung, dass die Brücke gegen EU-Recht bei Lärm und Luftreinhaltung verstoße – bisher aber hat das bei all den Prozessen noch kein Richter so gesehen. Und ICOMOS selbst behauptete in dieser Sitzung, dass zur Zeit der Beantragung des Titels keine Gestalt angenommenen Pläne der Brücke existierten – der eigene Hauptgutachter sagte da das Gegenteil, s.a. die Antwort zu Frage 1. Dazu könnte ich noch länger schreiben und mache das auch bei Interesse gern; hier geht‘s leider nicht ausführlicher. Kurt Biedenkopf dazu in der „Welt“: „Mit rechtsstaatlichen Grundsätzen hat so ein Verfahren nichts zu tun. Es wäre in Deutschland ganz ohne Zweifel rechts- und verfassungswidrig“.

Und zu Herrn Bandarin: Natürlich hat er ein legitimes, aber auch ein sehr begrenztes Mandat. Das Welterbezentrum ist als Sekretariat des Welterbekomitees eingerichtet worden, um es zu unterstützen, nicht um es zu bevormunden oder gar in seinem Namen ohne Mandat zu handeln (Rule 34 der WHC Rules of Procedure). Und natürlich gilt auch, dass sich der Träger eines solchen Mandats unparteiisch an Fakten orientieren, rechtsstaatliche Grundsätze beachten und seinen Partnern mit Respekt begegnen sollte. Da fehlt hier Vieles schmerzlich – s.o. Von Kreuzzugsmentalität habe ich allerdings nicht gesprochen.

Sie vermuten sogar eine UNESCO-Einmischung im Wahlkampfjahr 2009?

Ob die Entscheider so weit dachten, weiß ich nicht – und habe das auch nicht behauptet. Ich habe einfach das Ergebnis der Entscheidung kommentiert. Sicher aber wollte man mit der Vertagung der Entscheidung den Dresdner Brückengegnern bewusst den Rücken stärken – Raum für einen fortgesetzten Kreuzzug, wie ich es im genannten Artikel etwas polemisch formulierte.

Was würden Sie der Oberbürgermeisterin für eine Reise nach Paris zum UNESCO-Welterbezentrum mit auf den Weg geben?

Sie sollte wissen: Mit klaren Fakten ist Herr Bandarin kaum zu überzeugen – die kennt er alle, was aber nicht zum eigenen Standpunkt passt, wird einfach ausgeblendet. Er meint zu wissen, siehe sein Interview im März, die Brücke zerstört die Einzigartigkeit der Landschaft. Alles Drumherum, ob Recht und Gesetz, ob eigene Regeln, ob frühere Einschätzungen von ICOMOS, lenkt nur vom Kern der Sache ab. Da ist auf rationaler Ebene kaum etwas zu machen.

Vielleicht kann sie seine Sympathie erringen – sie ist eine charmante Frau, und er ist Italiener. Aber Dresden hat es nicht nötig, zu scharwenzeln. Und Herr Bandarin hat sich schon so weit aus dem Fenster gelehnt, dass er kaum ohne Gesichtsverlust zurückrudern kann.

Wichtiger sind die eigentlichen Entscheidungsträger, die Mitglieder des Welterbekomitees, hohe Beamte aus aller Herren Länder. Die kennen die Sache bisher wohl nur sehr einseitig, und deren Interessenlage lässt es deutlich eher zu, vielleicht nach Fertigstellung der Brücke und persönlichem Augenschein, der ursprünglichen Einschätzung von ICOMOS zur Vereinbarkeit von Brücke und Titel zu folgen.

Gehört der Welterbetitel zu den sogenannten Standortfaktoren?

Es ist ein Standortfaktor, aber ein sekundärer. Entscheidend ist er sicher nicht. Dresden hat sich auch ohne Titel bis 2004 ganz prächtig entwickelt und und ist zur Nummer Eins im Osten geworden. Und Dresden würde die Nummer Eins im Osten bleiben – auch ohne diesen Titel. Aber natürlich lenkt der Titel den Blick eines gewissen Klientels noch stärker auf unsere schöne Stadt. Und eine Aberkennung wäre zweifellos ein Imageverlust und schade.

Doch weder die Dresdner CDU noch die Staatsregierung wollen Dresden diesen Titel aberkennen. Das will – nach intensiver Lobbyarbeit der Brückengegner – allein das Welterbezentrum. Deshalb müssten ernsthafte Bemühungen, den Titel zu erhalten, auch dort ansetzen. In diese Richtung aber habe ich noch nie eine Aktion der angeblichen Welterbebewahrer gesehen – wo blieben die Kundgebungen vorm Welterbezentrum in Paris mit der Forderung, die erste, positive Einschätzung von ICOMOS zur Vereinbarkeit von Brücke und Titel beizubehalten? Wo blieb ein Brief des famosen Kuratoriums Unesco-Welterbe Dresdner Elbtal, dass die plötzliche Meinungsänderung gegen elementare rechtsstaatliche Grundsätze verstößt? Wo blieb ein Hinweis auf die Falschdarstellungen im Verfahren? Wo äußerte man sich deutlich, dass man Titel und Brücke sehr wohl für vereinbar hält? Gegen die veröffentlichte Meinung eines solchen Gremiums hätte es das Welterbezentrum schwer gehabt. Den Köpfen der „Welterbebewahrer“ aber ging es, wie ich es sehe, nie um den Titel, es ging einzig um die Verhinderung der Brücke.

Was würden Sie dem (politikverdrossenen) Spötter antworten, der angesichts der Welterbetitel-Diskussion „Mephisto“ zitierte: So gut es war, dass es entstand, noch besser ist‘s, dass es verschwand.

Ich würde ihn aufklären, dass sich auch Faust zum Titlelerhalt äußerte, leider eher pessimistisch: Was kann die Welt mir wohl gewähren? Entbehren sollst du! sollst entbehren! Das ist der ewige Gesang, Der jedem an die Ohren klingt, Den, unser ganzes Leben lang, Uns heiser jede Stunde singt.

Aber im Ernst: Die Medaille hat zwei Seiten. Hier der Gesichtsverlust nicht nur für Dresden, sondern auch für Deutschland, aber freie Hand. Und Jeder weiß: Die Dresdner lieben ihre schöne Stadt in ganz besonderer Weise. Dresden muss kein internationales Gremium vor den Dresdnern schützen.

Auf der anderen Seite: Titelerhalt, auch Erhalt des guten Rufs. Aber erkauft durch ständige Rechtfertigungsnotwendigkeiten vor einem Gremium ohne demokratische und gerichtliche Kontrollmöglichkeiten. Und leider hat dessen Sekretariat bewiesen, dass es zumindest unter der derzeitigen Führung schlicht unseriös agiert. Das macht die Koexistenz auf Dauer schwierig. Denn die Brücke ist kein Einzelfall – kaum einer weiß zum Beispiel, dass auch die Hochwasserschutzmaßnahme in Pieschen dank engagierter Bürger beim Welterbezentrum landete und lange Rechtfertigungen folgen mussten.
Die Zukunft wird zeigen, auf welcher Seite die Medaille landet.

Im jüngsten (bemerkenswerten) DRESDNER HEFT „Dresdner Elbbrücken in acht Jahrhunderten“ wird resümiert: „Der (Brücken-)Streit geht um Zukunftsbilder“. Ist dieses Pathos gerechtfertigt?

Ich weiß nicht, ob das Pathos ist. Es ist aber sicher richtig, dass es dabei nicht nur um eine Brücke geht, auch nicht in erster Linie um die Kulturlandschaft im Elbbogen. Die „Tunnelalternative“ ist nur ein Mittel, die Brücke erst mal zu verhindern. Des Pudels Kern ist, meine ich, die unterschiedliche Sichtweise zur Rolle und Notwendigkeit des Straßenverkehrs in der Zukunft Dresdens.

Das kann man an konkreten Beispielen zeigen, hier kann ich nur andeuten: So war die SPD einmal für die Brücke. Sie rückte in dem Moment ab, als nicht mehr eine Straßenbahn-, sondern eine Busverbindung über die Brücke führen sollte – das Landschaftsbild spielte dabei keine Rolle. Im Abstimmungsbüchlein zum Bürgerentscheid war von den Brückengegnern auf neun Seiten von einer Tunnelalternative keine Rede. Und die „Mediatoren“ im Rechtsstreit zwischen Stadt und Land im Winter 2006/2007 unter Frau Dr. Ringbeck versuchten erst gar nicht, ernsthaft zu vermitteln. Erste Schlussfolgerung des Abschlussberichts: Das Dresdner Verkehrskonzept muss überarbeitet werden, um keinen Anreiz zur Erhöhung der Anzahl der Elbquerungen durch motorisierten Indinidualverkehr zu geben. Ein Tunnel wurde wegen seiner Leistungsfähigkeit tendenziell abgelehnt.

Nun sind sich praktisch Alle soweit einig, dass der Verkehr in Zukunft soweit sinnvoll möglich vermindert oder vermieden werden sollte, leiser, schadstoffärmer und weniger ressourcenverbrauchend werden muss und auch seine Kosten tragen soll. Manche aber meinen darüber hinaus – so verstehe ich die Diskussionen – völlige Umstrukturierung sowohl der Wirtschaft als auch des ganzen Lebens sei das Gebot der Stunde. Als Königweg zu weniger Straßenverkehr müsse man ihn knebeln. Die negativen Folgen in der realen Welt, im Hier und Heute, werden in Kauf genommen.

Andere meinen: in einer zunehmend arbeitsteiligen Gesellschaft mit fortschreitender Globalisierung der Wirtschaft, deshalb wachsendem Verkehr, und mit freien Bürgern ist ein drastischer Verkehrsrückgang durch Hindernisse und Verstopfungen ohne vielfältige Folgeschäden Illusion. Nicht umsonst spricht man vom Verkehr als Blut der Wirtschaft. Nein, es braucht ausgebaute Trassen, wo er so umwelt- und stadtverträglich wie möglich fließen kann.

Und sieht man in die Praxis: Denken Sie an die Autobahn nach Prag – mein Wahlkreis – was für ein weltuntergangsschwangeres Theater gab es da, s.o. Jetzt freut sich Jeder über die gewaltige Entlastung durch die neue Trasse, besonders der Dohnaer Straße, die dadurch als Wohnstraße gehalten werden konnte, ja sogar eine Sanierung der „Posthäuser“ an der Wilhelm-Franke-Straße wurde dadurch möglich. Aber auch die Nürnberger z.B. ist erst jetzt als Wohnstraße wieder zumutbar.

Und welche Entlastung wird die Waldschlösschenbrücke bringen – es geht nämlich nicht um fünf Minuten Fahrzeit für die bösen Autofahrer, sondern um die Erhaltung sensibler innerstädtischer Bereiche mit dichter Wohnbebauung durch einen Bypass um das Zentrum – so werden Käthe-Kollwitz-Ufer, Bautzner Straße, am Elbhang die Schillerstraße ganz massiv entlastet, und die Königsbrücker wäre als Wohn- und Geschäftsstraße ohne die Brücke in dieser Funktion mit Sicherheit nicht dauerhaft zu halten. Sehen Sie sich die Verkehrdifferenzenkarte im Internet doch einfach einmal an.

An der Verkehrsphilosophie scheiden sich die Geister. Wo ich persönlich stehe, wissen Sie. Als Naturwissenschaftler bemühe ich mich, nicht zu träumen, sondern unsere Welt mit all den unterschiedlichen Interessen so zu sehen, wie sie nun mal ist – einschließlich der menschlichen Tendenz: Nach Golde drängt, am Golde hängt doch Alles. Da kann man jammern: Ach, wir Armen. Und unter dem Schlachtruf „wir sind die Elite“ auch gegen demokratische Entscheidungen das Steuer an sich reißen wollen. Oder aber die Stadt mit Weitblick, doch auch mit Achtung vor demokratischen Entscheidungen, im ehrlichen Diskurs und dienend im Hier und Heute nachhaltig gestalten.

Wir danken Herrn Dr. Böhme-Korn für die Gesprächsbereitschaft

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