Therese Walther-Visino (1898 – 1981) zum 28. Todestag am 28. März

„Mal sehen, was das Klafier zu Beethoven sagt“ – Erinnerungen an die Malerin und Musikpädagogin

Therese Walther-Visino in ihrer Wohnung, die zugleich ihr Atelier und Depot war. Foto: Ernst Hirsch

Therese Walther-Visino in ihrer Wohnung, die zugleich ihr Atelier und Depot war.
Foto: Ernst Hirsch

An den 28. Todestag einer Künstlerin zu erinnern, erscheint etwas naiv. Ebenso hätten wir auf den 111. Geburtstag von Therese Walther-Visino am 10. September warten können. Nicht weniger „naiv“ war wohl die mit einer „Suchanzeige“ verbundene Meldung im Elbhang-Kurier 9/2008 (S. 19), dass die vormalige Künstlerin vom Weißen Hirsch Therese Walther-Visino in die „Weltenzyklopädie der naiven Kunst“ aufgenommen worden sei. Noch nie etwas von ihr gehört? Mitnichten!

Es stellte sich heraus, dass einige EHK-Leser lebhafte und pittoreske Erinnerungen an ihren Musikunterricht bei Frau Visino haben, was den folgenden Leserbriefen und Fotos zu entnehmen ist. Außerdem gibt es mehrere Dokumentationen zur Malerin Therese Walther-Visino, nicht zuletzt eine Eintragung in „Künstler am Dresdner Elbhang“ (II). Darauf  wird am Ende dieses Beitrages hingewiesen. Hier zunächst die „Leserstimmen“:

Therese Visino, sie wurde zu ihrer Zeit noch mit „Fräulein“ angesprochen, war selbständige Musiklehrerin und gab in ihrer Wohnung (Bautzner Landstraße 72, Erdgeschoss) Unterricht in Klavier, Violine und Akkordeon. Die Aufnahme stammt etwa aus dem Jahre 1955. Meine Schwester und ich hatten bei ihr Klavierunterricht. Beliebt (mehr bei den Eltern) waren die Schülerkonzerte, die im Parkhotel Weißer Hirsch stattfanden (Blauer Salon). Frl. Visino, die gelegentlich auch in der Bühlauer Kirche als Organistin aushalf, hatte etwas Geniales und Großzügiges an sich, gab Unterricht manchmal im Morgen- bzw. Hausmantel, also „eine wahre Künstlerin“. Sie heiratete in späteren Jahren und dann erst widmete sie sich der „Naiven Malerei“.  Text und Foto: Dr. Lindenau

Therese Visino, sie wurde zu ihrer Zeit noch mit „Fräulein“ angesprochen, war selbständige Musiklehrerin und gab in ihrer Wohnung (Bautzner Landstraße 72, Erdgeschoss) Unterricht in Klavier, Violine und Akkordeon. Die Aufnahme stammt etwa aus dem Jahre 1955. Meine Schwester und ich hatten bei ihr Klavierunterricht. Beliebt (mehr bei den Eltern) waren die Schülerkonzerte, die im Parkhotel Weißer Hirsch stattfanden (Blauer Salon). Frl. Visino, die gelegentlich auch in der Bühlauer Kirche als Organistin aushalf, hatte etwas Geniales und Großzügiges an sich, gab Unterricht manchmal im Morgen- bzw. Hausmantel, also „eine wahre Künstlerin“. Sie heiratete in späteren Jahren und dann erst widmete sie sich der „Naiven Malerei“.
Text und Foto: Dr. Lindenau

Leider kann ich, obwohl ich Therese Visino gut kannte, nur Anekdotisches berichten. Und das ist auch wenig genug. Ich war als elf- oder zwölfjähriger Junge Schüler von Frau Visino (etwa in den Jahren 1950 – 1952). Und das kam so: Ich hatte in der Loschwitzer Schule (Albertallee) den Hauptteil einer zerbrochenen C-Blockflöte, die ein Russenkind in den Papierkorb geworfen hatte, mit nach Hause genommen. Mein Vater war sehr praktisch veranlagt und sagte, ich solle doch das abgebrochene Teil noch besorgen. Am nächsten Tag fand ich das fehlende Stück, und mein Vater leimte die Flöte wieder zusammen. Nun brachte ich mir die Griffe selbst bei und probierte stundenlang an der Elbe oder im Ziegengrund, bis ich einigermaßen spielen konnte.

Das sanierte Haus Bautzner Landstraße 72 wurde am 1. Oktober 2008 fotografiert.  Text und Foto: Dr. Lindenau

Das sanierte Haus Bautzner Landstraße 72 wurde am 1. Oktober 2008 fotografiert.
Text und Foto: Dr. Lindenau

Uns gegenüber (Grundstraße 68) wohnte Frau Schar mit ihrer Tochter, die beide regelmäßig wöchentlich mit ihrem Akkordeon zum Unterricht gingen. Meine Mutter erkundigte sich, wer die Lehrerin wäre: Frau Visino. Frau Schar erkundigte sich, ob Frau Visino auch Blockflötenunterricht erteilen würde. Die Auskunft war positiv. So ging meine Mutter mit mir zu Frau Visino (sie wohnte an der Bautzner Landstraße zwischen Weißen Adler und Straußstraße in einem Eckhaus an der heute nicht mehr benannten Roosstraße – nach dem früheren Loschwitzer Weinbergbesitzer Heinrich Roos genannt). Ich bekam Unterricht, obwohl Frau Visino keine Blöckflöte besaß und auch selbst nicht spielen konnte. Der Unterricht kostete zwölf Mark im Monat. Sie sagte zu meiner Mutter sinngemäß: „Wenn er die Griffe schon kann, spiele ich Klafier dazu!“ Sie sagte stets Klafier statt Klavier. So spielte ich Flöte und Frau Visino die zweite Stimme auf dem Klavier dazu. Ich hatte ein paar Jahre Flötenunterricht, der verbunden war mit vielen interessanten Erzählungen aus ihrer Kindheit und Jugendzeit, die mir oft mehr brachten, als der Unterricht selbst. Sehr gern erzählte sie von ihrem (italienischen?) Vater.

Sie selbst spielte sehr gern Klavier, und ich erhielt später auch Klavierunterricht bei ihr. Wenn ich ein Stück gut konnte, durfte ich es auf dem Flügel spielen, unterrichtet wurde auf einem „Klafier“. Einmal fand ein Konzert der Schüler von Frau Visino im Café Schnöder in Bühlau statt. In der Hauptsache wurden Akkordeon-Stücke vorgetragen. Ich sollte die d-moll-Fantasie für Klavier von Mozart spielen. Mein Spiel war sicher sehr gut empfunden, aber fingertechnisch hätte es etwas brillanter sein können. Frau Visino, deren Herz ich erobert hatte, rettete mich, indem sie ansagte, dass dieses alte Klavier sicher nicht genügen würde und auch kaputt sei. Sie spielte zum Abschluss des Konzertes ein größeres Stück und leitete es mit den (inzwischen klassisch gewordenen) Worten ein: „Mal sehen, was das Klafier zu Beethoven sagt!“

Therese Walther-Visino, „Die Sängerin“, Öl auf Hartfaser, 1971.  Reproduktion aus: Engelbert Oppitz/Heinrich Pommer/Therese Walther-Visino – Ausstellungskatalog des Museums für Volkskunst, 1981

Therese Walther-Visino, „Die Sängerin“, Öl auf Hartfaser, 1971.
Reproduktion aus: Engelbert Oppitz/Heinrich Pommer/Therese Walther-Visino – Ausstellungskatalog des Museums für Volkskunst, 1981

Soweit meine Erinnerungen an eine liebe, von mir sehr verehrte Lehrerin. Ich sah sie später noch öfters, speziell auf dem Schillerplatz, wo sie Bilderrahmen für ihre Gemälde kaufen wollte. Leider kamen wir nicht mehr ins Gespräch, weil sie sich an mich nicht erinnern konnte. Sie machte auf mich in späteren Jahren einen etwas zerstreuten Eindruck. Ihren (wohl spät) geheirateten Mann lernte ich auch kennen: ein kleiner, liebenswürdiger, älterer Herr, der mir gelegentlich die Tür öffnete. Die Wohnung der Visino-Walthers war vollgestopft mit alten (altmodischen) Möbeln, die sicherlich aus einer anderen (besseren?) Zeit stammten. Überall hingen Vorhänge mit Quasten. Man konnte nur auf schmalen Wegen durch die Wohnung laufen. An den Wänden hingen Gobelins, deren Inhalt ich mir erklären ließ.

Günter Pistorius (siehe auch Künstlerbuch, Band II, Seite 473)


In den Jahren 1943/44 ging ich zu Frau Visino nahe dem Weißen Adler in Klavierunterricht. Viel Freude wird die zierliche temperamentvolle Dame an mir (Jahrgang 1936) wahrscheinlich nicht gehabt haben. Sie veranstaltete aber jedes Jahr ein großes Schülerkonzert, und zwar im Großen Saal der „Kaufmannschaft“ auf der Ostra-Allee. Dort durfte ich auch mitwirken, allerdings nicht mit meinem ungenügenden Klavierspiel. Wir sangen gemeinsam den Refrain „Freut Euch des Lebens…“, und jeder Schüler trat vor und sang zwei Zeilen, meist recht zeitbezogen. Meine lauteten: „Der eine lebt heut hintenrum, der andre ist dazu zu dumm“. Freut Euch des Lebens, auch in diesen schwierigen Zeiten! Das ist damals wohl Therese Visinos Motto gewesen.

Klaus Gebhardt


Das bildnerische Werk

Als ihr „Berufsleben“ als Musikpädagogin – 65-jährig – nahezu abgeschlossen war, griff sie, scheinbar voraussetzungslos, als sogenannte „Naive“ zu Zeichenstift, Pinsel und Palette; auf Letztere verzichtete sie freilich, denn es ist überliefert, dass sie in der Regel „aus der Tube“ malte, wenn sie sich nicht für Aquarell oder Pastell entschied. Die studierte Schulmusikerin konnte sich nun ihrem ursprünglichen Berufswunsch „Malerin“ widmen und fand „die Themen ihrer Bilder vor allem in ihren Lebenserinnerungen“. In ihrem Werkverzeichnis stößt man auf solche Titel wie Mein Mann/Der Geiger/Malerin im Bauernhof/Elbdampfer/Menschen im All/Kamin mit goldenem Spiegel/Die Pferdestraßenbahn oder Weihnachtsmarkt. Insgesamt 45 Arbeiten werden im Dresdner Museum für Volkskunst aufbewahrt, wo sie der seinerzeitige Direktor Dr. Johannes Just seit 1972 gemeinsam mit Bernd Herrde gesammelt und bereits 1981 dort ausgestellt hat; zuvor konnte die Künstlerin im Dresdner Verlag der Kunst, in Altenburg und Hoyerswerda und im Dresdner Pretiosensaal ihre Bilder zeigen.

Therese Walther-Visino, „Trara die Post“, Öl auf Hartfaser, 1969.  Reproduktion aus: Engelbert Oppitz/Heinrich Pommer/Therese Walther-Visino – Ausstellungskatalog des Museums für Volkskunst, 1981

Therese Walther-Visino, „Trara die Post“, Öl auf Hartfaser, 1969.
Reproduktion aus: Engelbert Oppitz/Heinrich Pommer/Therese Walther-Visino – Ausstellungskatalog des Museums für Volkskunst, 1981

Die Kunstwissenschaftlerin Dr. Ursula Rimkus begleitete ihr Werk, und der Filmemacher Ernst Hirsch produzierte gemeinsam mit dem Kunsthistoriker Gert Clausnitzer für das DDR-Fernsehen (auf CD erhalten!) noch zu Lebzeiten der Künstlerin den aufschlussreichen, beinahe liebevollen Film „Therese Walther-Visino – Gelebte Träume“. Auch 28 Jahre nach ihrem Tod dürfen wir weiterträumen; ihr verwunschenes Grab auf dem Alten Annenfriedhof bedarf unbedingt einer pflegenden Hand.

Dietrich Buschbeck

Literatur:

  1. siehe Bildunterschrift „Trara die Post“
  2. Ursula Rimkus, „Natürlichkeit und Phantasie – Naive Kunst aus Sachsen und Berlin“, Edition Landsberg Dresden, 2005
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Veröffentlicht unter Artikel aus der Print-Ausgabe, Kunst und Kultur, Musik