Zum 80. Geburtstag von Diether Schmidt

In den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts war der Kunsthistoriker Dr. Diether Schmidt der beste Freund des größten Teils der Dresdner Künstler und dies auch weit über die Grenzen des Elbtals hinaus.

Seine ebenso einfühlsamen wie kämpferischen Eröffnungsreden neben vielen anderen Orten auch im Loschwitzer Leonhardi-Museum haben sich Künstlern und Kunstfreunden ins Gedächtnis geprägt. Obwohl er den seiner Überzeugung gemäßen Standpunkt einer realistischen Kunst nie völlig verlassen hat, machte er sich mit seinem kompromißlosen Eintreten für die Belange der Künstler und die Freiheit der Kunst im repressiven östlichen System nicht nur Freunde.

Diether Schmidt, Günter Groß und Erhard Frommhold (v.l.n.r) bei der Ausstellung Curt Querner in Dippoldiswalde 2001 Foto: Gisela Bartholomay

Diether Schmidt, Günter Groß und Erhard Frommhold (v.l.n.r) bei der Ausstellung Curt Querner in Dippoldiswalde 2001
Foto: Gisela Bartholomay

Diether Schmidt wurde am 29. Juli 1930 in Lubmin bei Greifswald geboren. Als sein Vater als Maurer mit seiner kleinen Baufirma in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, zog die Familie nach Berlin. So lernte er schon frühzeitig im „roten Wedding“ vom Vater „zwischen den Zeilen lesen“ und „in den Hals sprechen“. Nach Kriegsende, Schulabschluß und einem begonnenen Pädagogik-Studium gelang es ihm, an der Humboldt-Universität im Ostteil der Stadt zu Beginn der fünfziger Jahre mit Kommilitonen wie Werner Schade und Elmar Jansen bei Richard Hamann Kunstgeschichte zu studieren. Nach dem Studium kam er nach Dresden, wo er kurzzeitig Assistent an den Staatlichen Kunstsammlungen war. Nach seiner Promotion 1960 folgte ein Forschungsauftrag des ostdeutschen Ministeriums für Kultur.

Diether Schmidt (rechts) mit Klaus Drechsler Foto: Gisela Bartholomay

Diether Schmidt (rechts) mit Klaus Drechsler
Foto: Gisela Bartholomay

Seine erste größere Publikation „Französische Druckgraphik seit 1871“ erschien 1962 im Dresdner Verlag der Kunst, in dem er fortan auch als Lektor tätig war. 1964 und 1965 folgten in der Fundus-Reihe zwei Bände, die Furore machen: Künstlerschriften II (1933 bis 1945) und I (1905 bis 1933) fassen – auch als Niederschlag seiner Forschungen gesammelt und herausgegeben – Selbstzeugnisse zahlreicher deutscher Künstler zusammen, deren großer Teil noch im Jahrzehnt zuvor von der östlichen Kulturpolitik als reaktionär und dekadent verpönt war. 1968 folgt im Berliner Henschel-Verlag der Band „Ich war, ich bin, ich werde sein“, in dem er sich intensiv dem Thema des Selbstbildnisses widmet, und 1972 wiederum im Verlag der Kunst die große Fritz-Cremer-Monographie. 1977 publiziert er durch Vermittlung der Mailänder Galleria del Levante im Münchner Limes-Verlag eine Monographie über Karl Hubbuch und 1980 ist er maßgeblich an der ostdeutschen Ausgabe der Klee-Tagebücher 1898-1918 im Weimarer Kiepenheuer-Verlag beteiligt. In dem von Henschel 1981 prachtvoll ausgestatteten Band „Otto Dix im Selbstbildnis“ untersucht Schmidt die zahlreichen Selbstdarstellungen aller Techniken im Werk von Dix von 1909 bis 1968 und vermittelt damit eine wesentliche Ergänzung zu Löfflers Monographie. Noch nach der Ausbürgerung aus der „DDR“ erschien in der Evangelischen Verlagsanstalt Berlin 1984 seine Monographie über den Bildhauer Friedrich Press.

Neben seiner Berufung als Kunsthistoriker hatte er maßgeblich Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Ausstellungsreihe orbis pictus der Dresdner Galerie Comenius, die seine damalige Ehefrau Ulrike Schmidt 1977 als Mitarbeiterin des Kulturbundes gegründet und bis Ostern 1984 geleitet hatte.

Diese Porträtplastik von Diether Schmidt wurde von Hans-Volker Mixsa während mehrerer Sitzungen in Berlin modelliert. Foto: Hans-Volker Mixsa

Diese Porträtplastik von Diether Schmidt wurde von Hans-Volker Mixsa während mehrerer Sitzungen in Berlin modelliert.
Foto: Hans-Volker Mixsa

Die oben erwähnten größeren Publikationen wurden umrankt von einer Vielzahl kleinerer in Broschüren, Katalogen, Faltblättern bis zu Aufsätzen in Zeitschriften und Tageszeitungen. Und als besondere Kategorie stehen seine zahlreichen Eröffnungsreden bzw. Ansprachen zu vergleichbaren Gelegenheiten – gleichzeitig mit dem Denken gefundene druckreife Sprache, sachlich fundiert, kritisch und frei. Wenn es auch im „real existierenden Sozialismus“ nach wie vor galt, „zwischen den Zeilen zu lesen“, so wollte er wohl wenigstens nicht mehr „in den Hals sprechen“. Das war offenbar „staatsgefährdend“. Es ist unbekannt, ob die absurde Vokabel „Redeverbot“ heute noch existiert, damals war sie in aller Munde. Dabei ist es gleich, ob aktenkundlich nachweisbar oder auf wohlmeinenden Rat von niederen Funktionären in vorauseilendem Gehorsam…. Tatsache war, daß ab 1981 mehrere seiner Auftritte selbst in der begrenzten Öffentlichkeit von Kunstausstellungen von offizieller Seite unterbunden wurden. Tatsache war weiterhin, daß er am 2. Januar 1984 gezwungen wurde, eine der Zellen bei der Staatssicherheit auf der Bautzner Straße zu beziehen, und daß er sechs Wochen später in die sogenannte „BRD“ ausgewiesen wurde. In der heutigen Gedenkstätte erinnert daran noch nichts.

Von Eschborn bei Frankfurt aus bewarb er sich für zahlreiche Projekte, konnte aber nirgends wirklich Fuß fassen. 1988 zog er wieder nach Berlin, wo sich inzwischen einige der alten Künstlerfreunde auch aus Dresden versammelt hatten. Doch noch bevor er in Berlin richtig angekommen war, überschlugen sich die bekannten Ereignisse.

1990 kam er als Kunsthistoriker an die Hochschule für bildende Künste wieder nach Dresden, wo er 1991 zum Professor berufen und mit dem Amt des Rektors betraut wurde. Daß eine Zeit lokalen gesamtgesellschaftlichen Umbaus auch nach dem totalen Umbau der Hochschule rief, ist verständlich aber wohl auch nicht notwendig sinnvoll. Die östlichen Kunstschulen waren über Jahrzehnte von der internationalen Entwicklung abgekoppelt, was zahlreiche Nachteile, aber auch einige Vorteile hatte. Nach Zero, Pop und Beuys hatten sich die westlichen Hochschulen – mit wenigen Ausnahmen – längst zu Experimental-Labors aller technischen und geistigen Mittel entwickelt, dabei aber mehr oder weniger etwas die Verbindung zu den Wurzeln verloren. Dagegen hatte sich trotz aller ideologischen Verwerfungen im Osten so etwas wie Tradition, Handwerk und tätiges Schaffen bewahrt. Diether Schmidt wollte den Charakter dieser Hochschule bewahren, die Wurzeln am Leben erhalten. Das ist mehr oder weniger gescheitert, 1992 gab er das Amt des Rektors auf, 1995 folgte seine Emeritierung.

Seitdem macht er gelegentlich noch Eröffnungen und Texte für die alten Freunde, wohnt zeitweilig noch in Berlin, vor allem aber im belgischen Flandern. Dort ist er „in den Frieden eingetaucht“, wie er kürzlich bekannte. Herzlichen Glückwunsch zum kommenden 80. Geburtstag vom Dresdner Elbhang.

Gunter Ziller

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