„Heckengeblätter“ im Schlosspark Pillnitz

In eigener Sache – eine Ausstellung in den Heckengärten zeigt Zeichnungen von Holger Friebel

„Sie schauten in ein höchst ungewöhnliches Gesicht. Es gehörte zu einer großen, menschenähnlichen, fast trollähnlichen Gestalt, mindestens vierzehn Fuß lang, sehr stämmig, mit einem hohen Kopf und kaum einem Hals. Ob sie in einen Stoff, der wie grüne und graue Rinde aussah, gekleidet oder ob das ihre Haut war, war schwer zu sagen. Jedenfalls waren die Arme, ziemlich nahe am Rumpf, nicht runzlig, sondern mit einer braunen glatten Haut bedeckt. Die großen Füße hatten je sieben Zehen. Der untere Teil des langen Gesichts war mit einem wallenden grauen Bart bedeckt, buschig, fast zweigartig an den Wurzeln, dünn und moosig an den Enden. (…) man hatte das Gefühl, als ob etwas, das im Boden wächst (…), plötzlich erwacht war und einem mit derselben bedächtigen Aufmerksamkeit betrachtet, die es seit endlosen Jahren seinen eigenen inneren Gedanken geschenkt hatte.“

J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe, übersetzt v. Margaret Carroux, Stuttgart 2009, Die Zwei Türme, Kapitel IV, S. 513f.

Spätestens seit dem Erscheinen von Tolkiens „The Lord of the Rings“ (dt.: Der Herr der Ringe, 1969/70) ist die Spezies des Baummenschen bekannt. In einer ganzen Reihe von Zeichnungen des Dresdners Holger Friebel kann man ebenso diesen Baummenschen begegnen.     Wenngleich sich der Zeichner nicht direkt auf den Klassiker der Fantasyliteratur bezieht, wurde dort wohl erstmals diesen Baumwesen Leben eingehaucht. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn Wolkentiere im Sommerhimmel identifiziert werden oder eben die Gestalt eines knochigen Baumes an einen gestikulierenden Menschen erinnert.

In Holger Friebels Zeichnungen wie der „Alte Birnenmann“, der „Flutbote“, „Esor“ oder „Das letzte Blatt“ werden die mit menschlichen Eigenschaften ausgestatteten Bäume und Wurzeln oder zumindest beseelten Figuren gegenwärtig. Die in der Natur gesehenen und genau studierten Dinge entwickeln in der Phantasie des Zeichners ein Eigenleben. Bäume und Wurzelwerk formen sich zu bizarren Plastiken oder erscheinen als mythische Gestalten. Die Naturbeobachtung wird in detailgenauer Darstellung manifest, die Hand des Zeichners weiß, was sie tut. Die Linien und Striche von Fineliner, Tusche oder Bleistift geben Volumina, zeigen Formen und markieren Bewegungen. Hell und Dunkel bilden in dem gewebegleichen Liniengefüge Körper und Gesicht. Eine alte Rinde wird so zur faltigen Haut, ein knochiges Geäst gleicht einer rheumatischen Hand.

Holger Friebel beim Zeichnen in der Bretagne. Foto: B. Friebel

Holger Friebel beim Zeichnen in der Bretagne.
Foto: B. Friebel

Dass ein Baum für Holger Friebel ein gern betrachtetes Stück Natur und geschätzter Bildgegenstand zugleich ist, veranschaulichen ebenso jene Zeichnungen von Birnenbäumen oder Weiden. Sogar eine Straßenlaterne nimmt in „Der Laternen-Anzünder“ die Form eines Baumes an. In den Landschaftszeichnungen aus Loschwitz, Pillnitz, dem Garten des Zeichners oder dem Darß spielen Bäume ebenfalls eine wichtige Rolle. Während in Blättern wie „Blick zum Kotzschweg“ oder „Am Paetowhof“ besonders die durch Natur und Architektur gegebene Gliederung des gewählten Landschaftsraumes in den Vordergrund treten, haben die Zeichnungen einzelner Bäume porträthaften Charakter. Unterstützt durch das Hochformat rücken dort Gestalt, Form und die natürliche Beschaffenheit des jeweiligen Baumes in den Mittelpunkt. Rinde – Haut, Äste – Arme: Der Weg hin zur Verlebendigung des Baumes im Bild ist nicht weit. Vorausgesetzt, der Zeichner hat Phantasie.

„Von der Natur“ Pinsel / Tusche über Bleistift Zeichnung: Holger Friebel

„Von der Natur“
Pinsel / Tusche über Bleistift
Zeichnung: Holger Friebel

Einige Arbeiten von Holger Friebel sind weit mehr als phantasievoll. Diese Gruppe Zeichnungen sind ganz anderer Natur als die Bilder der Baummenschen und Wurzelwesen. Auf Witz und Hintersinn trifft man dort. Blätter wie „Strudel des Lebens“ und „Das Ende des Holzweges wird steinig“ bringen Geschichten, die einen das Leben lehren, zeichnerisch auf den Punkt, eine Erfahrung wird bildhaft. Ganz eigenartigen Figuren begegnet man wiederum in Arbeiten wie „Medusa“ und „Mr. Pickel“. Blätter wie „Der Ging. Ganz?“ offenbaren ihren Hintersinn erst durch die Kombination von Bildtitel und Darstellung und stellen ihren Schöpfer Holger Friebel als wort- und bildgewitzten Zeichner vor.

Traum und Phantasie, Humor, Witz und Hintersinn, Schräges und solches aus dem Morgensternschen Figurenkosmos treffen in Holger Friebels Zeich­nungen aufeinander. Aus der
genauen und konzentrierten Beobachtung wird Überspitztes möglich. Ähnlich seinem „Selbst als Vulkan“: Die Augen weit geöffnet, der Mund geschlossen – doch im Kopf, da brodeln die Ideen, da entstehen die Bilder.

Linda Karohl

Die Ausstellung ist vom 27. Juni bis 1. Oktober in den Heckengärten des Pillnitzer Schlossparkes zu sehen. Eröffnet wird sie gemeinsam mit der Ausstellung „Engel haben nur eins im Kopf“ von Markuss Göpfert am 26. Juni, 19.30 Uhr in der Orangerie.

1J.R.R. Tolkien: Der Herr der Ringe, übersetzt v. Margaret Carroux, Stuttgart 2009, Die Zwei Türme, Kapitel IV, S. 513f.

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