Zum Tod von Dr. Anneliese Mayer-Meintschel

Galeriedirektorin und Vermeer-Expertin in Dresden gestorben

Am 23. April ist Frau Dr. Annaliese Mayer-Meintschel, die ehemalige Direktorin der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister im Alter von 91 Jahren in ihrer Wohnung in Oberloschwitz verstorben. Bei meinem letzten Besuch bei ihr vor ungefähr eineinhalb Monaten war das Nachlassen ihrer Kräfte deutlicher, jedoch beschäftigte sie ein Thema ohne Unterlass: Johannes Vermeer.

Diesem berühmten Künstler aus dem Goldenden Zeitalter der holländischen Malerei hatte sie einen wichtigen Teil ihrer Forschungsarbeit als Kunsthistorikerin gewidmet. Griffbereit lag das Vermeer-Buch ihres amerikanischen Kollegen und Freundes Arthur Wheelock Jr. auf ihrem Tisch. Es war mit den Jahren aufgequollen von vielen Zetteln, auf denen sie ihre Anmerkungen zum Buchtext hinzugefügt hatte. Neben dem Buch noch die Zeitungsmeldung vom Mai des letzten Jahres über die Restaurierung des Dresdner Vermeer-Bildes „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“.

Dr. Anneliese Mayer-Meintschel mit Dr. Christoph Schölzel und Vermeers „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“.
Foto: Wolfgang Kreische

Diese Restaurierung, die ich im Jahr 2017 begonnen hatte, erbringt wichtige neue Erkenntnisse über das Gemälde. Als man beim Röntgen des Bildes während einer Sonderausstellung in San Franzisco 1979 im Hintergrund einen ganzfigurigen Liebesgott entdeckt hatte, nahm Frau Mayer in einem grundlegenden Aufsatz von 1981 an, dass Vermeer selbst das große Hintergrundbild im Bild getilgt und mit der grauen Wand und dem dunklen Fensterschatten übermalt habe. Mayers These fand Eingang in alle folgenden weltweit erschienen Vermeerbücher.

Nun haben moderne naturwissenschaftliche Analysen gezeigt, dass nicht der Künstler selbst den Kupido übermalte, sondern ein unbekannter Maler zu späteren Zeiten dies tat. Natürlich war das für Frau Mayer eine sehr spannende Erkenntnis und sie ließ es sich nicht nehmen, zweimal den beschwerlichen Weg in die Restaurierungswerkstatt auf sich zu nehmen und das Original in seinem Veränderungsprozess selbst zu inspizieren. Seitdem berichtete ich ihr bei meinen Besuchen vom Fortschritt der Restaurierung und wenn ich zu viel Zeit zwischen den Treffen verstreichen ließ, rief sie mich an und lockte mich mit der Erklärung, sie habe mir Neues zum Vermeer mitzuteilen, zu sich.

Unser letztes Gespräch kreiste um die Veränderungen der Interpretation des Bildes nach Aufdeckung des Kupidos. Dieses spannende Thema hätte sie am liebsten selbst angepackt – nun bleibt es ihren Nachfolgern/innen überlassen und uns die Erinnerung an ihren aufmerksamen, offenen, manchmal impulsiven, aber immer sehr großzügigen Geist!

Dr. Christoph Schölzel

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